Kinder des Wassermanns
sie die Erde umrunden, und christliche Kirchen entstehen auf den letzten Zufluchtsorten des Feenvolks.
Denn die Erde ist eine Kugel, wie Ihr vielleicht wißt, und von meßbarer Größe. Sogar die Bahnen der Sterne werden vermessen, genauer, als die Alten es konnten, und gelehrte Männer berechnen den Bau des Universums. In ihren Plänen ist kein Platz für Geheimnis oder Magie.
Seht her.« Pawel trat an den Tisch und nahm zwei Linsen in einem Drahtrahmen auf. »Das ist etwas, das, wie ich hörte, vor kurzem in Italien erfunden wurde. Ich habe es mir schicken lassen. Mit dem Alter wurde mein Sehvermögen auf kurze Entfernung schlechter, bis ich kaum noch lesen oder schreiben konnte. Heute schiebe ich mir dieses Ding auf die Nase, und es ist beinahe so, als sei ich wieder jung geworden.« Er reichte Vanimen das Gerät. »Ein Anfang«, prophezeite er. »Der Vorläufer von Instrumenten, die den Menschen besser als ein Adler in die Ferne, besser als ein Maulwurf in die Nähe blicken lassen werden. Meine Nachkommen werden sie nach außen auf den Himmel, nach innen auf sich selbst richten. Vielleicht wird Gott dann die Welt enden lassen, weil die Menschen seine Wege zu genau untersuchen. Vielleicht auch nicht. Doch sicher bin ich, daß sie das Feenreich aus der Welt hinausuntersucht haben werden.«
Der Wassermann starrte auf die Brille. Er hielt sie in der Hand, als sei sie eiskalt.
»Und deshalb«, schloß Pawel, »ist es nicht ein guter Rat, daß ihr euer Schicksal dankbar annehmt und eure Heimat im Paradies sucht?
Ich will Euch nicht drängen, nur muß ich Eure Entscheidung in einigen Monaten haben. Denkt nach. Kehrt nach Skradin zurück und erzählt es Eurem Volk. Sprecht auch mit diesem Priester in der Zadruga, den Iwan so hochschätzt. Bittet ihn, für Euch zu beten.«
Vater Tomislav, allein, kniete nieder. Die Winternacht umfing ihn, still und bitter, und ließ den Lehmboden in seine Knie beißen. Im Licht einer Kerze, die er für den Heiligen, nach dem seine Kirche benannt war, entzündet hatte, und dessen Bildnis er anredete, konnte er Christus am Kreuz über dem Altar kaum erkennen.
»Heiliger Andreas«, sprach er, seine Stimme so verloren wie die Kerzenflamme, »du warst ein Fischer, als Unser Herr dich aufrief, Ihm zu folgen. Hast du dich danach jemals wieder an den See zurückgesehnt ... vielleicht nur ein kleines bißchen? Lebende Wellen um dich, ein salziger Wind, eine gleitende Möwe – oh, du weißt, was ich meine. Du hast es nicht bereut, ein Jünger geworden zu sein. Nichts dergleichen. Aber manchmal hast du dich erinnert – nicht wahr? Ich selbst vermisse den Schimmer des Wassers zu Füßen der Stadt Zadar und das Hinausrudern in einem Boot – welch ein Spaß war das, wie groß und frei war alles! Und dabei bin ich doch als Landratte geboren.
Du müßtest verstehen, was das Seevolk empfindet. Es ist nicht ihre Schuld, daß sie keine Seelen haben und deshalb auch nicht mit dem rechten Eifer nach Erlösung streben. Das tun die Heiden unter den Menschen doch auch nicht! Gott hat die Meerleute für Seine Ozeane erschaffen. Wenn sie die Lebensweise, die Er ihnen gab, vergessen, nun, ich glaube, dann könnten sie immer noch unter Wasser atmen und was so dazugehört, aber was nützte es ihnen? Es wäre, als ob ein Mensch vergäße, wie man geht. Ich denke, sie würden es nie wieder richtig lernen.
Doch vor allem ist das Meer ihr Leben, ihre Liebe gewesen. Ja, ihre Liebe. Sogar ein Hund kann lieben, und die Meerleute haben einen Verstand, der ebenso gut ist wie der der Menschen. Würde ich meine Sina vergessen wollen? Nein. Die Erinnerungen tun weh, aber ich hänge an ihnen. Du weißt, wie viele Messen ich für die Ruhe ihrer Seele gehalten habe.
Heiliger Andreas, Seefahrer, sprich für das arme Seevolk zu Gott. Erkläre, daß sie die Taufe annehmen werden, wenn das sie nicht ihre Erinnerungen kostet. Es ist ja nicht so, daß sie Ihn verleugnen, es ist einfach ihre Art. Wenn sie Seelen haben, werden sie anders sein. Aber warum muß ihnen genommen werden, was sie vorher waren? Laß ihnen doch die Fähigkeit, den Menschen von den Wundern zu erzählen, die Gott der Herr in den Tiefen der Meere geschaffen hat, damit sie Ihn um so mehr anbeten. Wäre das nicht gut und richtig?
Heiliger Andreas, gib mir ein Zeichen.«
Die grobe Holzschnitzerei bewegte sich. Die Lippen bogen sich zu einem Lächeln, eine Hand streckte sich segnend aus.
Tomislav sah es mit offenem Mund. Dann fiel er flach zu Boden,
Weitere Kostenlose Bücher