Kinder des Wassermanns
nach ihr verlangte.« Er empfand keinen echten Zorn über die versuchte Vergewaltigung. Solche Dinge bedeuteten ihm und Eyjan wenig; wenn sie weniger Partner gehabt hatte als er Partnerinnen, dann lag es nur daran, daß sie zwei Jahre jünger war. Sie kannte den kleinen Zauber, der eine Empfängnis verhütete, wenn es nicht ihr Wunsch war. Er selbst hätte zu gern mit Jonas' Schwester Bengta geschlafen, sollte sich ihm diese unwahrscheinliche Gelegenheit bieten – und das Begehren hatte ihn um so stärker gepackt, als er und seine eigene Schwester immer mehr Mühe hatten, sich auf ihrer langen Reise einander zu versagen, ihrer Mutter wegen, der so etwas ein Greuel gewesen war ... Außerdem konnte es ihnen nichts schaden, wenn der Junge so erbarmungswürdig dankbar dreinblickte wie eben jetzt.
»Eine Todsünde«, schimpfte Haakon. »Reiß dir diesen Wunsch aus dem Herzen, mein Sohn. Beichte und – bitte Sira Sigurd, dir eine richtige Buße aufzuerlegen.«
»Halte es ihm nicht vor«, drängte Steinkil. »Sie ist der schönste Anblick, den ich je gehabt habe, und herausfordernd gekleidet.«
»Ein Gefäß der Hölle.« Haakons Worte kamen abgehackt heraus. »Hütet euch, hütet euch. In unserer Einsamkeit verlieren wir den Glauben. Es graut mir, daran zu denken, wo unsere Nachkommen enden werden, falls wir nicht ... Wenn wir mit dem Tupilak fertig sind – wenn wir das geschafft haben, so ... dann will ich meine Tochter suchen ... Warum hat sie es getan?« Er schrie beinahe. »Ihren Gott zu verleugnen ... ihr Blut, ihr Volk ... aye, ein Haus um sie, gewebte Kleider an ihrem Körper, Essen und Trinken und Werkzeuge und Sitten des weißen Mannes, alles, für das wir generationenlang gekämpft haben, um es behalten zu können ... die Hure eines Wilden zu spielen, der sie vergewaltigt hat, in einer Schneehütte zu hocken und rohes Fleisch zu verschlingen ... Welche Macht des Satans konnte sie dazu bewegen?«
Er merkte, daß sie von dem anderen Boot zu ihm herüberstarrten, kniff die Lippen zusammen und ruderte.
Sie waren eine Stunde unterwegs gewesen und hörten schon den Donner der Brandung, wo die offene See auf das Vorland traf, als ihr Feind sie fand.
Ein Mann in dem zweiten Boot heulte auf. Tauno sah Schaum am einen riesigen braunen Rumpf. Er rammte das andere Boot, das sich aufbäumte und einen Sprung tat. »Stoßt ihn weg!« brüllte Haakon. »Benutzt eure Speere! Rudert, ihr Memmen! Bringt uns dort hinüber!«
Er und Tauno zogen die Ruder ein und stellten sich geduckt hin. Der Sohn des Wassermanns faßte nach unten, zog aus der Bilge einen Gürtel, an dem, wie er verlangt hatte, drei Messer in Scheiden hingen, und band ihn um. Doch über Bord ging er noch nicht. Er sah sich das Ding an, dem sie sich näherten. Sein Sehvermögen war diamantscharf geworden, seine Ohren bereit, jedes Spritzen und Stoßen und Fluchen und Beten aufzunehmen, seine Nasenlöcher sogen tief den Wind ein, der seine Lungen füllen und sein klopfendes Herz beruhigen sollte. Sein Wille schmolz dahin vor dem, was er sah, bis Eyjans Bild ihm neuen Mut verlieh.
Der Tupilak hatte einen Ruderschwanz angehakt, auf dem an einem Querholz Bärenklauen befestigt waren. Sein Gewicht war geringer als das eines lebenden Tiers, aber das Boot lag immer noch schräg, so daß die Männer Mühe hatten, auf den Füßen und an Bord zu bleiben. Zwei Speere steckten in dem zerknitterten Fell, die grotesk hin und her schwankten, und dazu die abgebrochenen Hälften von zwei weiteren aus früheren Kämpfen. Kein Blut rann aus den Wunden. Am Ende eines langen, peitschenden Halses befand sich der Kopf eines Hais mit aufgerissenem Maul und glasig starrenden Augen. Ein Ruck des Ungeheuers, das Boot schaukelte, ein Mann fiel vor die Kiefer, sie bissen zu. Jetzt spritzte Blut, und Gedärm trieb im Wasser. Der Wind blies den Dampf ihrer Wärme fort.
Ein Ruderer achtern in Haakons Boot jammerte vor Entsetzen. Steinkil beugte sich vor, ohrfeigte ihn und kehrte dann unbewegt an sein Ruder zurück. Sie kamen von hinten heran. Haakon spreizte die Beine weit und schlug mit einer Hacke zu. Tauno wußte, daß er die Walroßhaut aufreißen wollte, um die Innereien aus Heu und verwesten Leichen herauszulassen ...
Die Flossen eines Mörderwals peitschten aus dem brodelnden Wasser auf den Bug hinab. Holz splitterte. Haakon taumelte. Tauno tauchte.
Er brauchte den Bruchteil einer Minute, um seine Lungen zu leeren, das Wasser hereinzulassen und seinen Körper auf
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