Kinder des Wassermanns
Erleichterung.
Aber inzwischen ragte die Insel genau vor ihnen auf, und an ihrem Fuß brodelte eine gefährliche Brandung. Vanimens ganze Aufmerksamkeit war erforderlich, um den Hulk in die Sicherheit des Kanals zu manövrieren. Rechts das Ruder! Rahnock einhieven! Schothorn an Steuerbord fortschieben! Ein Ruck durchlief die Planken – kratzte der Kiel über etwas hinweg? Plötzlich trat Windstille ein, doch das bedeutete weniger Raum zum Manövrieren …
Unglaublicherweise blieb das Schiff stehen.
Vanimen blickte hierhin und dahin. Sie waren in einem Wasserstreifen, der nur kleine Wellen warf. Auf beiden Seiten stiegen die Ufer auf wie Mauern. Der Sturm heulte, konnte jedoch bis auf wenige bösartige Regentropfen, die er schleuderte, nicht an sie heran. Die Luft fühlte sich hier weniger scharf an als draußen. Das Festland war hinter einem Streifen Sand bewaldet. Bäume und Klippen verbargen halb eine Gruppe von Gebäuden auf der Insel. Weder Menschen noch Hunde waren in Sicht. Auch war kein weiteres Schiff zu sehen, während Vanimen damit gerechnet und entsprechende Pläne zur Hand gehabt hatte.
Er richtete seine Meer-Sinne auf das Wasser selbst und stellte fest, daß sein Salzgehalt geringer war. Ein bißchen weiter nördlich mußte ein Fluß von dem Kontinent ins Meer münden. Sicher lag dort ein Hafen, und zwar, wie er vermutete, von beträchtlicher Größe; Abfall und Teerkügelchen tanzten in seinem Sichtkreis. Dort würden die Schiffe der Menschen anlegen. Doch ein Landvorsprung verbarg den Hafen vor seinen Augen und ihn vor ihm.
Er war überzeugt, der Sturm werde vor dem Abend enden. Dann konnte die Suche fortgeführt werden. Inzwischen … Er lehnte sich gegen das Heckbord. Inzwischen war hier Friede. Er wollte schlafen. Das Bedürfnis nach Schlaf überflutete ihn wie eine Woge.
Meiiva schrie.
Vanimen fuhr hoch, hellwach. Um eine Klippe bog die Galeere. Ihre Ruder erzeugten ihren eigenen Sturm. Sie war über dem Hulk, bevor das Seevolk unter Deck aus den Luken gekommen war. Dem König blieb ein Augenblick, sich zu erinnern, daß er ein Schiff befehligte, auf dem ein von ihm Ermordeter ihn verflucht hatte.
Enterhaken bissen sich fest. Eine Verbindungsbrücke klappte herab. Darüber tobten, gerüstet und bewaffnet, die Venetianer. Sie hatten ihre menschliche Ware in den Frachtraum geschickt und waren nach mehr aus.
Als sie plötzlich die Fremdartigkeit ihrer Opfer bemerkten, die Schwimmhäute an den Füßen, die Haarfarben, die elfenhaften Gesichtszüge, schreckten einige von ihnen zurück. Sie schrien auf, bekreuzigten sich und wollten Hals über Kopf davonlaufen. Beherztere Naturen brüllten, schwangen die Schwerter hoch, drängten zum Angriff. Der Anführer riß sich ein Kruzifix vom Hals und hielt es neben seine Klinge. Das gab ihm Mut. Ihre Opfer waren nackt, fast alle unbewaffnet, die meisten Frauen und Kinder.
Befehle ertönten, die Angreifer schwärmten aus, bildeten eine Reihe, schritten vor und drängten Vanimens Gefolgsleute zum Heck zurück. Waffen, Helme, Rüstungen – bloße Kraft konnte dagegen nichts ausrichten. Außerdem verstand das Seevolk nichts vom Kriegshandwerk. Die sich auf Deck befanden, zogen sich voller Entsetzen zurück, die noch nicht nach oben gekommen waren, tauchten wieder im Frachtraum unter.
Schwimmer kamen an die Oberfläche und schossen herbei. „Tut es nicht!“ rief der König, als sie die Strickleiter emporklettern wollten. „Es ist euer Tod oder Schlimmeres!“
Leicht wäre es gewesen, sich ihnen anzuschließen und zu entfliehen. Vanimen sah die ersten Leute vom Deck springen. Aber was sollte aus denen werden, die unten in der Falle saßen, durchfuhr es ihn. Schon hatte der Feind die Luken umkreist.
Er selbst würde sich in die gegen ihn gereckten Speerspitzen stürzen, bevor er sich in Fesseln schlagen ließ und den Markt, Staub und Kot, die Peitsche und die Sehnsüchte ertrug, die sein Leben als Sklave ausmachen würden. Oder man würde ihn zur Schau stellen … einmal, als er an Land gegangen war, hatte er einen Bären gesehen, Eiter um den Ring in seiner Nase, der ohne Hoffnung am Ende einer Kette tanzte, während die Zuschauer lachten … Hatten diejenigen, die ihm vertrauten, kein Recht auf die gleiche Wahl?
Und sie verkörperten zuviel von Liri. Die Meerfrauen im Wasser waren zu wenige, als daß sie den Stamm hätten am Leben erhalten können.
Er war ihr König.
„Vorwärts!“ rief er. Die Planken donnerten, als er
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