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Kinder des Wassermanns

Kinder des Wassermanns

Titel: Kinder des Wassermanns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Poul Anderson
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Abend Anker. Im Osten schimmerte das Kattegat, bis es sich im Dunkel verlor. Im Westen erstreckte sich das dämmerige Ufer. Ein letzter Schein des Sonnenuntergangs warf einen roten Streifen über das Wasser, gebrochen von Binsen, kleinen Hügeln, knorrigen Weiden. Die Landbrise roch nach Schlamm und Feuchtigkeit. Eine Rohrdommel rief, ein Kiebitz schrillte, eine Eule schrie – vereinzelte Geräusche in der Stille.
    „Seltsam, daß wir unsere Unternehmung hier beenden“, murmelte Ingeborg.
    „Nein, das tun wir nicht“, widersprach Eyjan. „Hier beginnen wir.“
    Niels bekreuzigte sich, denn der Ort war wirklich unheimlich, und wie jeder Bewohner dieser Gegend hatte er Geschichten gehört … Moorgeister, Elfen? … Sah er dort nicht ein blaues Irrlicht tanzen, das Menschen in ihr Verderben locken wollte? Er fragte sich, ob das heilige Zeichen ihn schützen würde, nach all seinen heidnischen Taten. Seine Hand tastete nach der Eyjans, aber sie stand nicht mehr da. Sie hatte schon mit der Arbeit angefangen.
    Zuerst halfen Eyjan, Tauno und Hauau ihren Schiffsgefährten an Land. Dann verbrachten sie Stunden damit, das Gold aus Averorn vom Deck, wo sie es in den letzten Tagen aufgestapelt hatten, an den Strand zu bringen. Niels und Ingeborg hielten Wache, wenn es auch unwahrscheinlich war, daß Menschen – obwohl ein oder zwei Gesetzlose in der Nähe lagern mochten – oder noch weniger willkommene Besucher auftauchten. Nichts geschah. Sie teilten sich einen Mantel und hatten sich bald gegen die Kälte fest umschlungen. So zitterten sie gemeinsam die ganze Nacht durch.
    Bei Tagesanbruch war die Fracht ausgeladen, aber keine Sonne zu sehen. Dicker Nebel war aufgestiegen, die ganze Welt tropfte vor Nässe, war getränkt mit Stille. Tauno und Eyjan, die das Sumpfgebiet gut kannten, hatten dies vorausgesehen. Tatsächlich hatten sie die Kogge einen ganzen Tag lang vor der Küste festgehalten, bis sie mit diesem Schleier rechnen konnten. Hauau fühlte sich im Nebel ebenso zu Hause wie sie. Von diesen Gefährten geleitet, machten sich der Jüngling und die Frau müde, frierend und in kläglicher Stimmung daran, beim nächsten Teil der Aufgabe zu helfen.
    Das Gold mußte versteckt werden. Tauno erinnerte sich an einen vom Blitz gespaltenen Baum, der vom Weg aus leicht zu finden war. Eine nachgeprüfte Anzahl von Schritten genau nach Westen führte zu einem Tümpel, flach, morastig, wie dazu geschaffen, Geheimnisse zu bewahren. Eine aus Weidenruten geflochtene Matte, die Jahre unter Wasser überdauern würde, verhinderte den Schlamm des Grundes daran, das zu verschlucken, was die Wanderer hinabsenkten. Mit den zusätzlichen Händen ging die Beförderung schneller als vorher. Außerdem konnte man zu Fuß mehr tragen als schwimmend, und soviel die Gegenstände auch wiegen mochten, sie nahmen nur einen ziemlich kleinen Raum ein.
    Trotzdem war Eile geboten. Oft veranlaßte das einen der Träger, weiches Metall zu einer weniger sperrigen Form zusammenzudrücken. Als Ingeborg sah, wie Tauno so die spinnwebzarte Schönheit einer Tiara zerstörte, meinte sie traurig: „Welcher Liebhaber mag sie einst seiner Dame geschenkt, welcher Künstler mag sie mit Liebe angefertigt haben? Nun ist der letzte Funke ihres Lebens dahin.“
    „Wir müssen unser Leben jetzt führen“, gab er scharf zurück. „Ihr werdet das meiste davon sowieso einschmelzen oder in kleine Stücke schneiden müssen, oder nicht? Außerdem leben ihre Seelen weiter und werden sich zweifellos erinnern.“
    „An irgendeinem grauen Ort außerhalb der Zeit“, bemerkte Eyjan. „Sie waren keine Christen.“
    „Ja, ich glaube, wir sind glücklicher dran“, antwortete Tauno. Er fuhr fort, Gegenstände herbeizutragen. Selbst aus nächster Nähe wirkte er in dem Nebel unwirklich. Ingeborg zuckte zusammen, wollte ein Kreuz schlagen, hielt in der Bewegung inne und kehrte ebenfalls an die Arbeit zurück.
     
    Gegen Mittag zerriß ein langsam auffrischender Wind die Dämpfe und trieb sie aufs Meer hinaus. Auf die Erde stachen Lichtspeere nieder, die immer öfter Risse zurückließen, durch die der blaue Himmel zu sehen war. Es wurde wärmer. Wellen glucksten auf den Strand.
    Ihre Arbeit war vollendet. Sie aßen kalten Proviant und tranken sauren Wein, den sie vom Schiff geholt hatten. Das war nicht gerade ein Abschiedsbankett zu nennen, dort neben dem Weg, aber das beste, was sie hatten. Danach zog Tauno Niels außer Hörweite.
    Einen Augenblick standen sie sich stumm

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