Kinder des Wassermanns
die Menge, um sie zu begrüßen. Er war ein schlanker Bursche, dessen buntes Festtagsgewand nicht mit seinem nachdenklichen Gesicht übereinstimmte. Von Anfang an hatte er sich sehr zu dem Seevolk hingezogen gefühlt, war begierig gewesen, alles über diese Leute zu lernen, war ständig für bessere Behandlung eingetreten. Nach Vanimens Tat bewunderte er die Meerleute sogar.
„Heil!“ rief er durch den Lärm ringsum. „Ihr seht ernst aus. Ihr solltet fröhlich sein. Kann ich euch irgendwie helfen?“
„Danke, aber ich glaube nicht“, antwortete der Liri-König.
„Was ist denn geschehen?“
„Ich werde es später deinem Vater mitteilen. Jetzt will ich keinen Schatten auf dein Vergnügen werfen.“
„Nein, ich bitte dich, sag es mir. Vielleicht kann ich etwas tun.“
„Nun …“ Vanimen faßte einen Entschluß. Meiiva, die noch nicht hrvatskanisch sprechen konnte, wich unauffällig in den Hintergrund zurück. „Nun, wenn du es so haben willst, Luka. Hast du gehört, daß wir am See eine Rousalka getroffen haben?“
Der junge Mann riß die Augen auf. „Was sagst du da?“
„Eine Rousalka. Der Geist eines Mädchens, das in dem Wasser spukt, wo es ertrunken ist.“
„Oh.“ Luka mußte erst einmal Aten holen. „Die Vilja. Du hast sie gesehen?“ Er machte eine Pause. „Nein, ich habe nichts davon gehört. Es ist eine Sache, über die die Männer lieber nicht sprechen.“
„Ist ‚Vilja’ euer Wort dafür?“ fragte Vanimen. „Ich hatte einmal weit weg im Norden mit einer von dieser Art zu tun. Deshalb erkannte ich, was es war. Entsetzen erfaßte mich, und ich floh. Diese Schande nagt in meiner Brust. Dein Vater vertrieb den Geist, doch als ich ihm hinterher zu erklären versuchte, warum der Mut mich verlassen hatte, sagte er, er wolle es lieber nicht hören.“
Luka nickte. „Ja, er hat seine Gründe. Doch glaube ich, er wird sie dir enthüllen, wenn du ihn darum bittest. Die Sache ist kein Geheimnis – schmerzlich, aber nicht entehrend.“
„Solch eine … Vilja … macht unseren Triumph zu Spott“, sagte Vanimen. „Ich höre, wie die Männer sich an der Vorstellung begeistern, wieder zu fischen, wobei ihnen mein Stamm helfen könnte. Haben sie keinen Verstand? Der Vodianoi konnte sie nur fressen. Warum fürchten sie sich nicht vor dem, was die Vilja ihnen antun wird?“
„Was könnte das denn sein?“ fragte Luka überrascht. „Doch nur kleine Bosheiten, wie die Leschi sie begehen – da weht ein Wind jemandes Wäsche vom Gras weg, da wird ein Säugling seiner Mutter fortgenommen, wenn sie gerade nicht hinsieht, doch ist er immer bald wieder zurückgegeben worden – und ein Zweig Wermut kann sie fernhalten. Natürlich würde ein Mann, der sich von der Vilja verlocken ließe, eine Todsünde begehen. Aber das wird bestimmt niemand tun, und sie scheint es auch noch nie versucht zu haben. Schließlich ruft ein Geist an sich schon Entsetzen hervor. Ich weiß Bescheid, Vanimen, ich wünschte, ich wüßte weniger darüber.“
Der Wassermann betrachtete den jungen Mann forschend. „Wie kommt das?“
Luka erschauerte im Sonnenlicht, in Lärm und Musik und Rauch. „Ich war mit meinem Bruder auf jener Jagd vor zwei Jahren, als sie ihn erkannte. Auch ich habe ihr Gesicht gesehen, das Gesicht Nadas, die sich im Jahr zuvor ertränkte …“
Eine Hand packte ihn beim Kragen und warf ihn zu Boden. „Du lügst!“ brüllte Vater Tomislav. Er war unbemerkt nähergekommen und hatte dem Gespräch zugehört. „Wie alle übrigen lügst du!“
Über dem auf der Erde liegenden Jungen stehend, inmitten einer Stille, die sich schnell ausbreitete, inmitten von Augen, die auf ihren Ausgangspunkt starrten, wurde der Priester Herr seines Anfalls. „Nein, du lügst nicht, ich will glauben, daß du nicht lügst“, sagte er mit schwerer Zunge. „Eine zufällige Ähnlichkeit oder eine List Satans hat dich getäuscht. Es tut mir leid, Luka. Verzeihe mir meine Unbeherrschtheit.“ Er sah von einem zum anderen. Tränen stürzten ihm aus den Augen. „Meine Tochter war keine Selbstmörderin“, krächzte er. „Sie ist kein verdammter Schatten. Sie ruht in Schibenik, in heiliger Erde. Ihre Seele ist … ist im … Paradies …“ Er stolperte davon. Die Menge teilte sich, um ihn hindurchzulassen.
Regen schlug in dieser sturmdurchheulten Nacht gegen die Burgmauern. Kälte kroch aus dem Stein, durch die Wandbehänge, und Dunkelheit belagerte die Lampen. Iwan Subitsch saß Vanimen von Liri an einem Tisch
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