Kinder des Wassermanns
werden ins Meer zurückkehren und unsere Suche fortsetzen. Dann seid Ihr uns los.“
„Nehmt einmal an, ich verbiete eure Abreise“, sagte der Ban ruhig.
„Wir werden Euren Soldaten ausweichen oder ihre Phalanx durchbrechen oder in unserer Freiheit sterben.“ Vanimens Stimme klang ebenso leise.
Pawel lächelte traurig. „Frieden. Ich würde es nicht tun. Wenn ihr wirklich gehen wollt, gebe ich euch Urlaub. Doch wo wollt ihr suchen, und wie? In diesem Königreich gäbe es für euch keine Möglichkeit mehr, und höchstwahrscheinlich wird man euch an keiner Küste des Mittelmeers haben wollen. Wenn ihr es zurück bis in den Ozean schafft, nun, dann könnt ihr an Afrika entlang nach Süden schwimmen, auch wenn ihr unterwegs fürchterliche Verluste haben werdet. Aber könnt ihr denn die Tropen ertragen, ihr, ein Stamm aus dem Norden?“
Vanimen blieb stumm.
Nach einer Minute fuhr Pawel fort: „Stellen wir uns einmal vor, daß ihr auf irgendeine Weise eine neue Heimat findet. Was habt ihr dann gewonnen? Bestenfalls ein paar Jahrhunderte. Dann wird das Feenreich ganz und gar verschwinden – und ihr mit ihm.“
„Das ist Eure Meinung?“ fragte Vanimen. „Warum?“
Pawel klopfte ihm auf die Schulter und meinte voller Mitgefühl: „Ich wünschte, es wäre nicht so. Zuviel Schönheit und Wunder wird mit der Halbwelt verderben, und ich habe eine Ahnung, daß das, was sie ersetzen wird, mit der Menschheit noch weniger Gemeinsamkeiten aufzuweisen hat.“
Durch die Mauern drang schwach das Läuten der Kathedralenglok-ken. „Hört“, sagte Pawel. „Der Zeitpunkt des Läutens wurde nicht von der Sonne, dem Mond oder den Sternen festgesetzt. Eine Uhr hat deren Aufgabe übernommen, ein hartes, künstliches Ding, bar jeden Mysteriums.
In meiner eigenen Lebensspanne habe ich die Macht der modernen Kriegsmaschinen wachsen sehen. Sie bedeuten den Untergang der Ritterschaft, deren Helden – Arthur, Orlando, Ogier, Huon – immer mit der anderen Welt in Verbindung gestanden haben.
Die Wildnis schmilzt vor Axt und Pflug dahin. Gleichzeitig versammelt sich alles, was zählt, in den Städten, wo jedes Ding von Menschen gemacht ist und der kleinste Kobold keinen Unterschlupf finden kann.
Jahr für Jahr pflügen Schiffe in immer größerer Zahl die Meere, geführt von Kompaß und Astrolabium statt von Vogelflug, Landmarken, dem Einssein des Seemanns mit den Wogen. Eines Tages werden sie die Erde umrunden, und christliche Kirchen entstehen auf den letzten Zufluchtsorten des Feenvolks.
Denn die Erde ist eine Kugel, wie Ihr vielleicht wißt, und von meßbarer Größe. Sogar die Bahnen der Sterne werden vermessen, genauer, als die Alten es konnten, und gelehrte Männer berechnen den Bau des Universums. In ihren Plänen ist kein Platz für Geheimnis oder Magie.
Seht her.“ Pawel trat an den Tisch und nahm zwei Linsen in einem Drahtrahmen auf. „Das ist etwas, das, wie ich hörte, vor kurzem in Italien erfunden wurde. Ich habe es mir schicken lassen. Mit dem Alter wurde mein Sehvermögen auf kurze Entfernung schlechter, bis ich kaum noch lesen oder schreiben konnte. Heute schiebe ich mir dieses Ding auf die Nase, und es ist beinahe so, als sei ich wieder jung geworden.“ Er reichte Vanimen das Gerät. „Ein Anfang“, prophezeite er. „Der Vorläufer von Instrumenten, die den Menschen besser als ein Adler in die Ferne, besser als ein Maulwurf in die Nähe blicken lassen werden. Meine Nachkommen werden sie nach außen auf den Himmel, nach innen auf sich selbst richten. Vielleicht wird Gott dann die Welt enden lassen, weil die Menschen seine Wege zu genau untersuchen. Vielleicht auch nicht. Doch sicher bin ich, daß sie das Feenreich aus der Welt hinausuntersucht haben werden.“
Der Wassermann starrte auf die Brille. Er hielt sie in der Hand, als sei sie eiskalt.
„Und deshalb“, schloß Pawel, „ist es nicht ein guter Rat, daß ihr euer Schicksal dankbar annehmt und eure Heimat im Paradies sucht?
Ich will Euch nicht drängen, nur muß ich Eure Entscheidung in einigen Monaten haben. Denkt nach. Kehrt nach Skradin zurück und erzählt es Eurem Volk. Sprecht auch mit diesem Priester in der Zadruga, den Iwan so hochschätzt. Bittet ihn, für Euch zu beten.“
Vater Tomislav, allein, kniete nieder. Die Winternacht umfing ihn, still und bitter, und ließ den Lehmboden in seine Knie beißen. Im Licht einer Kerze, die er für den Heiligen, nach dem seine Kirche benannt war, entzündet hatte, und dessen Bildnis er
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