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Kinder des Wassermanns

Kinder des Wassermanns

Titel: Kinder des Wassermanns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Poul Anderson
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anredete, konnte er Christus am Kreuz über dem Altar kaum erkennen.
    „Heiliger Andreas“, sprach er, seine Stimme so verloren wie die Kerzenflamme, „du warst ein Fischer, als Unser Herr dich aufrief, Ihm zu folgen. Hast du dich danach jemals wieder an den See zurückgesehnt … vielleicht nur ein kleines bißchen? Lebende Wellen um dich, ein salziger Wind, eine gleitende Möwe – oh, du weißt, was ich meine. Du hast es nicht bereut, ein Jünger geworden zu sein. Nichts dergleichen. Aber manchmal hast du dich erinnert – nicht wahr? Ich selbst vermisse den Schimmer des Wassers zu Füßen der Stadt Zadar und das Hinausrudern in einem Boot – welch ein Spaß war das, wie groß und frei war alles! Und dabei bin ich doch als Landratte geboren.
    Du müßtest verstehen, was das Seevolk empfindet. Es ist nicht ihre Schuld, daß sie keine Seelen haben und deshalb auch nicht mit dem rechten Eifer nach Erlösung streben. Das tun die Heiden unter den Menschen doch auch nicht! Gott hat die Meerleute für Seine Ozeane erschaffen. Wenn sie die Lebensweise, die Er ihnen gab, vergessen, nun, ich glaube, dann könnten sie immer noch unter Wasser atmen und was so dazugehört, aber was nützte es ihnen? Es wäre, als ob ein Mensch vergäße, wie man geht. Ich denke, sie würden es nie wieder richtig lernen.
    Doch vor allem ist das Meer ihr Leben, ihre Liebe gewesen. Ja, ihre Liebe. Sogar ein Hund kann lieben, und die Meerleute haben einen Verstand, der ebenso gut ist wie der der Menschen. Würde ich meine Sina vergessen wollen? Nein. Die Erinnerungen tun weh, aber ich hänge an ihnen. Du weißt, wie viele Messen ich für die Ruhe ihrer Seele gehalten habe.
    Heiliger Andreas, Seefahrer, sprich für das arme Seevolk zu Gott. Erkläre, daß sie die Taufe annehmen werden, wenn das sie nicht ihre Erinnerungen kostet. Es ist ja nicht so, daß sie Ihn verleugnen, es ist einfach ihre Art. Wenn sie Seelen haben, werden sie anders sein. Aber warum muß ihnen genommen werden, was sie vorher waren? Laß ihnen doch die Fähigkeit, den Menschen von den Wundern zu erzählen, die Gott der Herr in den Tiefen der Meere geschaffen hat, damit sie Ihn um so mehr anbeten. Wäre das nicht gut und richtig?
    Heiliger Andreas, gib mir ein Zeichen.“
    Die grobe Holzschnitzerei bewegte sich. Die Lippen bogen sich zu einem Lächeln, eine Hand streckte sich segnend aus.
    Tomislav sah es mit offenem Mund. Dann fiel er flach zu Boden, weinend. „Ehre sei Gott, Ehre sei Gott!“
    Als er sich endlich wieder auf die Knie erhob, war alles wie zuvor. Die Kerze brannte mit niedrigem Flämmchen, die Kälte stieg hoch, die Sterne über dem Dach wanderten auf Mitternacht zu.
    „Ich danke dir, Andreas“, sagte Tomislav demütig. „Du bist ein wahrer Freund.“
    Nach einer Minute überkam ihn plötzlich der Schreck. „Ich bin Zeuge eines Wunders geworden! Ich!“ Er faltete die Hände. „Herr, ich bin es nicht wert.“
    Er beschloß, bis Tagesanbruch im Gebet zu verharren. „Vater unser, der Du bist im Himmel, geheiligt werde Dein Name …“
    Am nächsten Morgen, als die Müdigkeit ihn benommen machte, sandte er einen schüchternen Blick auf das Gesicht des Heiligen. „Andreas“, murmelte er, „die Leute sagen so schreckliche Dinge über meine kleine Tochter. Könntest du mir vielleicht noch ein Zeichen geben? Ich weiß, die Geschichten sind nicht wahr. Nada ist da, wo du bist. Es mag sein, daß sie gleich neben dir steht und auf ihren alten Vater hinunterblickt. Wenn die Menschen das nur erkennen würden! Kannst du es ihnen nicht zeigen?“
    Die Statue blieb unbeweglich. Tomislav senkte den Kopf. Blut tröpfelte in seinen Bart. Als der Morgen graute, erhob er sich, verbeugte sich vor dem Altar und ging.
     
    Vanimen und Meiiva gingen die Wagenspur entlang, die durch den Wald führte. Kürzlich war Schnee gefallen, ein oder zwei Zoll, der bald zu Schmutz geschmolzen, aber unter den Bäumen noch rein und weiß war. Streng reckten sich Äste und Zweige vor dem blauen Himmel. Die Luft war ruhig und fast warm.
    „Seine Ehrlichkeit ist über jeden Verdacht erhaben“, sagte der Wassermann. „Doch halb im Schlaf mag er sich vorgestellt haben, es geschehe etwas, von dem er sich so sehr wünschte, es werde geschehen.“
    Meiiva erschauerte, aber nicht vor Kälte. „Oder der Tote, den er anrief, hat ihm einen Streich gespielt.“
    „Nein, ich glaube nicht, daß der Allerhöchste das erlauben würde. Er ist gerecht.“
    Sie warf ihm einen überraschten Blick zu.

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