Kinder des Wassermanns
peitschenden Schwanz. Der Lärm schüttelte ihn.
Wieder schwamm er nahe heran – halte den Unterwasseratem an gegen den Grabesgestank, schneide die Naht weiter auf, fasse die Ecke, reiße die Haut weit zurück –, ein Hieb traf ihn über die Rippen, er verlor sein Messer, seine Beine konnten ihn gerade noch davonstoßen.
Das Ungeheuer schrie. Die Haifischschnauze fuhr suchend hin und her. Flossen und Schwanz schickten den riesigen Rumpf auf Tauno zu. Ihm schoß der Gedanke durch den Kopf, daß Inuit bei einem solchen Kampf klug genug gewesen wären, dem Tupilak viele Harpunen mit nachschleppenden Luftblasen in den Körper zu stoßen und ihn so zu behindern. Nun, wenigstens war der Menschenfresser langsam und unbeholfen. Tauno konnte in Kreisen um ihn herumschwimmen. Doch nahe an ihn herangehen, das war … etwas, das getan werden mußte.
Das Fell löste sich flappend von dem Rahmenwerk, das – ja! – hier und da auseinanderzufallen begann. Aber die Füße und der Schwanz bewegten sich immer noch, die Kiefer schnappten noch. Tau-no setzte sich auf den Rücken, wo nichts ihn erreichen konnte. Er klammerte sich mit den Schenkeln fest, ungeachtet der Seepocken, die seine Haut aufrissen. Er zog ein zweites Messer und machte sich an die Arbeit.
Rings um den gewaltigen Rumpf konnte er nicht greifen. Aber als er losließ, schlug der halb abgetrennte Schwanz nur noch schwach. Wie dunkle Fetzen zog Schwindel an Taunos Augen vorüber. Er mußte sich zu einer kurzen Ruhepause zurückziehen.
Besaß der Tupilak ein dumpfes Wissen, oder wurde er getrieben, den Fluch zu erfüllen? Er wälzte sich wieder auf die Boote zu.
Wenn das Ungeheuer die Boote versenkte, ob es ihren Untergang überdauerte oder nicht, würde dann Eyjan jemals freigelassen werden? Tauno hörte, wie die schwere Masse sich gegen die Planken warf, und erhob sich, um es sich über Wasser anzusehen.
Das zweite Boot trieb vollgeschlagen dahin, hilflos, bis die vier Männer es ausschöpfen und ihre im Wasser liegenden Ruder von neuem ergreifen konnten. Der Tupilak schlug wieder und wieder auf Haakons Boot ein, dessen Vordersteven gebrochen war und dessen Planken sich von den Spanten lösten. Hals und Kopf des Tupilaks bogen sich auf der Suche nach Beute über den Rand. Wo war der Vogt? Sein Sohn Jonas hieb tapfer mit einer Axt zu – Steinkil, neben ihm, ebenso. Während Tauno hinsah, kam Steinkils Hand zu nahe an die Zähne. Sie schlossen sich, Blut sprudelte. Steinkil warf sich zurück, umklammerte das Handgelenk, wo seine rechte Hand gewesen war.
Haakon zeigte sich; er mußte bewußtlos im Boot gelegen haben. Gesicht und Brust waren scharlachrot verschmiert, der letzte Farbtupfer unter einem wolfsgrauen Himmel. Irgenwie entdeckte er Tauno. „Willst du Hilfe, Meermann?“ rief er.
Unter einer Ruderbank holte er den Anker hervor, mit hölzernem Schaft, aber mit Ring, Stock und Flunken aus Eisen, aus alten Zeiten stammend. Festgemacht war er mit einem Lederkabel an dem, was vom Vordersteven noch übrig war. Jonas hatte sich zurückgezogen, als Steinkil verkrüppelt wurde. Die anderen beiden duckten sich hinter ihm. Haakon taumelte nach achtern. Das zahngespickte Maul gähnte weit. Er wuchtete den Anker hoch und ließ ihn fallen. Eine Flunke traf das rechte Auge und blieb in der Augenhöhle stecken.
Haakon wurde von den Kiefern gepackt. Schon zerfetzt, riß er sich los. „Männer, schwimmt!“ rief er. „Tauno, töte ihn …“ Seine Stimme brach.
Der Sohn des Wassermanns hatte neue Kraft gewonnen und schoß wie ein Pfeil vorwärts. Ohne auf die Klauen zu achten, stieß er mit dem Messer zu. Aus dem Augenwinkel sah er, daß Haakons Männer in die Bucht zurückschwammen. Der Tupilak verfolgte sie nicht. Tauno verletzte ihn zu schwer.
Das Ungeheuer tauchte, als Tauno es tat, und versuchte, ihn zu ergreifen. Aber er mußte ein Grönlandboot mit sich schleppen und konnte sich kaum besser bewegen, als wenn das Meer ringsum gefroren gewesen wäre.
Taunos Messer bissen. Jedes Stück, das er losschnitt, kehrte in das Reich des Todes zurück, aus dem der Angakok es heraufbeschworen hatte.
Schließlich trieb eine leere Hülle auf dem Wasser, und ein Haikopf sank nach unten in die Finsternis. Die Wellen reinigten sich selbst. Als Tauno, jetzt Luft atmend, das zweite Boot erreichte, fühlte er den Wind auf seiner Stirn wie einen herben Segen.
Obwohl das Fahrzeug wieder in einen benutzbaren Zustand versetzt worden war, konnte er nicht an Bord gehen. Für einen
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