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Kinder des Wassermanns

Kinder des Wassermanns

Titel: Kinder des Wassermanns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Poul Anderson
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so gesplitterten und gesprungenen Rumpf war es mit neun Männern schon überladen – neun, denn mit Hilfe von treibenden Planken waren sowohl Haakon als auch Steinkil hinübergebracht worden. Tauno hielt sich am Rand fest. Die noch Unverletzten starrten ihn benommen an, zu nichts anderem mehr fähig als Entsetzen. Steinkils verbundener Stumpf sah aus, als werde der Mann am Leben bleiben. Auf Haakon traf das nicht zu. Vom Brustbein bis zum Schritt war er aufgerissen. Sein langer Körper lag in Blut und Eingeweiden zwischen zwei Ruderbänken.
    Doch er hielt sich mit aller Willenskraft bei Bewußtsein. Seine und Taunos Augen trafen sich, verdämmerndes Blau mit heißem Bernstein. Der Liri-Prinz konnte eben noch ein heiseres Flüstern verstehen: „Meermann, ich danke dir … ehre meinen Eid, Jonas … Meermann, vergib mir meine Lüge über dein Volk.“
    „Du mußtest an das deine denken“, antwortete Tauno tröstend.
    „Und meine Tochter … Sie wird mit dir reden … Ich habe kein Recht, darum zu bitten … aber wirst du sie suchen und …“ Haakon rang nach Atem. „Bitte sie – aber wenn sie nicht will, sag ihr, daß … ich meine Bengta niemals verstoßen habe … und im Fegefeuer werde ich für sie beten …“
    „Ja“, sagte Tauno, „Eyjan und ich werden das tun.“
    Haakon lächelte. „Vielleicht habt ihr doch Seelen, ihr Seevolk.“
    Bald danach starb er.

 
10
     
    Feensinne fanden Spuren, die von Sterblichen nie entdeckt worden wären. Tauno und Eyjan brauchten nur zwei Tage – doch sie reisten auch während des größten Teils der langen Spätherbstnächte –, um das neue Lager der Inuit zu entdecken.
    Es lag in einem kleinen Tal, das sich an eine Bucht mit hohem Ufer schmiegte. Von der Wiese wand sich ein Pfad zum schimmernden Wasser hinunter. Eine frische Quelle sprudelte aus einem Rasen, der trocken geworden war, aber sich unter den Füßen immer noch weich anfühlte. Zwergbirken und -weiden standen verstreut und hielten ihre letzten paar gelben Blätter fest. Überall erhoben sich Berge, graublau, wo kein Schnee lag. Durch eine Kluft im Osten blitzte das geheimnisvolle Grün des Inlandeises. Eine von einem Dunstkreis umgebene Sonne sandte vom Westen her Strahlen durch die funkelnde, atemlose, bo-reale Luft.
    Hunde bellten, als die beiden hohen Gestalten in ihren Fischhauthemden näher kamen, fingen dann den Geruch auf und verstummten; sie schlichen sich aber nicht weg wie die Hunde der weißen Männer. Jäger kamen heraus mit Harpunen, Messern und Bogen; ihre Haltung war nicht prahlerisch. Frauen setzten ihre Arbeit fort und forderten die Kinder auf, dicht bei ihnen zu bleiben; niemand äußerte Furcht oder Haß.
    Alle schienen sich zu Hause zu fühlen und sich des Überflusses zu erfreuen, den eine gute Jagd eingetragen hatte. Fleisch von Seehund und Eisbär kochte über Feuern und sandte würzige Düfte aus. Weiteres Fleisch war der Sicherheit wegen auf Stangen gehängt. Die größeren Felle wurden sauber abgekratzt, und die Frauen hatten begonnen, die kleineren zu kauen, um sie geschmeidig zu machen. Es standen Steinhütten für den Winter da, aber bis jetzt benutzten die Familien noch ihre spitzen Zelte. Als Tauno und Eyjan an einem von diesen vorbeikamen, sahen sie eine halb fertiggestellte Arbeit, einen in Elfenbein geschnitzten Moschusochsen. Er war wunderschön.
    Sie hoben die Handflächen und riefen: „Frieden! Ihr wißt doch, wir waren in eurem Umiak. Wir sind eure Freunde.“
    Waffen sanken oder fielen zu Boden. Bengtas Mann ergriff das Wort: „Wir konnten euch nicht richtig erkennen. Die Sonne blendete uns. Jemand schämt sich.“
    Bengta selbst eilte herbei, um die Geschwister zu begrüßen. „Ihr werdet uns doch nicht an die Norweger verraten, nicht wahr?“ flehte sie in ihrer Muttersprache.
    „Nein“, antwortete Tauno. „Aber wir haben eine Botschaft von ihnen.“
    „Und schlechte Neuigkeiten für dich, Liebes“, setzt Eyjan hinzu. Sie faßte Bengtas beide Hände. „Dein Vater ist tot. Der Tupilak zerriß ihn, als er und Tauno mit ihm kämpften. Aber er ist gerächt, das Ungeheuer ist tot, und ehe er starb, segnete er dich.“
    „O-o-oh …“ Lange Zeit stand die junge Frau bewegungslos. Ihr Atem bildete eine Dampfwolke in der knisternden Kälte, bis er sich in einem Himmel verlor, der die Farbe ihrer Augen hatte. Rauch hatte ihr Haar gedunkelt, das sie jetzt nach Art der Inuit in einem Knoten trug. Aber sie stand aufrecht und gesund da, in Pelzen, die eine

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