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Kinder

Kinder

Titel: Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Seibold
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wenn ich mich immer von Petar verteidigen
lasse, müssen mich die anderen nur abpassen, wenn ich gerade alleine bin.« Michael
starrte finster zu Boden. »Hat ja auch schon prima geklappt.«
    »Und was hast du jetzt kapiert?«
    Michael schaute auf, musterte erst Ronnie, dann Petar.
    »Ich hab kapiert, dass ich mir selbst helfen muss. Und ich hab den
beiden Deppen dort drüben« – er deutete mit dem Daumen hinter sich zu Tobias
und Marc – »gezeigt, wie unangenehm das schwächste Glied in unserer Kette
werden kann.«
    Petar und Ronnie sahen sich fragend an, dann musterten sie Michael.
Doch der sagte nichts mehr und brütete wortlos vor sich hin.
    Der Bestatter saß vor Christine Werkmann an seinem
wuchtigen, altmodischen Schreibtisch und redete geduldig auf seine Kundin ein.
Das Licht fiel gedämpft durch beigefarbene Vorhänge, und der Bestatter
blätterte durch einen Katalog mit Särgen und erläuterte der Frau vor ihm die
Vorzüge jedes einzelnen Modells.
    Von Zeit zu Zeit, wenn sich ihr Blick von dem Katalog löste und sie
zu den Vorhängen hinsah, verstummte der Bestatter und wartete, bis Christine
Werkmann ihm wieder zuhören mochte. Dann erzählte er von Blumengebinden, von
Totenkleidung in Kindergrößen, von passenden Chorälen und davon, dass sie noch
dem Pfarrer für die Trauerrede einige Details aus Kevins Leben schildern
sollte.
    Christine Werkmann hörte kurz zu, dann schluchzte sie und ihr Blick
wurde leer. Der Bestatter reichte ihr ein Taschentuch und wartete geduldig ab.
    Rektor Johannes Wehling lehnte sich weit zurück in seinem
Sessel. Der Espresso hatte gut geschmeckt, die Pause war bisher ohne Störung
verlaufen – und auch Proteste der Eltern waren ausgeblieben.
    Das wunderte ihn besonders, denn noch vor gar nicht langer Zeit war
die Stimmung um Franz und Rosemarie Moeller sehr aufgeheizt gewesen, und er
hatte eigentlich erwartet, dass nach dem tragischen Unfalltod des kleinen Kevin
von irgendeiner Seite wieder Unruhe in die Schule gebracht worden wäre.
    Aber nichts war bisher geschehen. Keine Elternvertreter hatten ihn
um ein Gespräch gebeten, und auch die Schüler steckten das dramatische Ereignis
allem Anschein nach erstaunlich gut weg.
    Natürlich wäre es absurd gewesen, die beiden Lehrer mit dem
Unfalltod des Jungen in Verbindung zu bringen, aber hysterische Eltern, das
wusste er aus eigener Erfahrung, hatten durchaus die Neigung, seltsame Schlüsse
zu ziehen.
    Karin Knaup-Clement nahm ihre Jacke vom Haken, sah
gewohnheitsmäßig durch das Fenster neben der Garderobe hinaus zur Straße – und
zuckte zurück. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand Christine Werkmann
und sah zu ihr herüber.
    Noch am Tag von Kevins Tod hatte sie in ihrer Eigenschaft als
Elternvertreterin bei Christine Werkmann angerufen, aber als Kevins Mutter
nicht ans Telefon ging und sie ihr Beileid auf den Anrufbeantworter sprechen
konnte, war sie erleichtert gewesen. In den Tagen seither hatte Christine
Werkmann allerdings mehrfach versucht sie telefonisch zu erreichen. Sie kannte
inzwischen die Nummer der Frau, und jedesmal, wenn sie sie im Display sah, ließ
sie es klingeln. Schon zu Kevins Lebzeiten hatte dessen Mutter von ihr
gefordert, sich weiterhin gegen die Moellers einzusetzen – da konnte sie sich
gut vorstellen, dass der Tod des Jungen ihre Einstellung sicher nicht positiv
verändert hatte. Und nun stand die Frau vor ihrer Tür.
    Karin Knaup-Clement ging zurück in die Küche, ließ sich noch einen
Espresso aus der Maschine, trank ihn und wartete ein wenig. Nach zehn Minuten
stand sie wieder auf: Wenn sie ihren Termin nicht verpassen wollte, musste sie
nun wirklich los.
    Christine Werkmann stand noch immer am selben Platz. Karin
Knaup-Clement atmete tief durch, riss dann die Haustür auf und nahm den Weg zur
Garage, als hätte sie die Frau gegenüber in der Eile gar nicht bemerkt.
    »Frau Knaup!«
    Es hatte nicht funktioniert. Karin Knaup-Clement blieb stehen,
drehte sich langsam um und tat überrascht. »Ach, Frau Werkmann!« Sie wartete,
bis Kevins Mutter vor ihr stand und hielt ihr die Hand hin.
    »Frau Knaup-Clement, ich muss unbedingt mit Ihnen reden«, sagte
Christine Werkmann, ohne die ausgestreckte Hand zu beachten.
    »Haben Sie meine Nachricht abgehört? Es tut mir so leid, was Kevin … äh … zugestoßen ist.«
    »Ja, danke, ich hab’s aber an dem Tag einfach nicht geschafft, ans
Telefon zu gehen.«
    »Kann ich gut verstehen.«
    »Seither habe ich es mehrmals bei Ihnen versucht,

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