Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kinder

Kinder

Titel: Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Seibold
Vom Netzwerk:
wissen,
stehen Sie mit dieser Kritik alleine da.«
    »Nicht ganz«, wandte Rainer Pietsch ein. »Wir haben uns mit Frau
Werkmann abgestimmt, sie ist derselben Meinung. Wir sprechen heute hier auch in
ihrem Namen.«
    »Frau Werkmann, nun gut …« Wehling sah kurz zu Franz Moeller, wie
es Kollegen gerne tun, wenn sie sich am liebsten zuzwinkern würden.
    Rainer Pietsch bemerkte den Blick und war etwas irritiert. Der
Rektor hatte die Aussprache angeregt und wollte dabei selbst als Moderator
agieren, um »einen gangbaren gemeinsamen Weg zu finden«. So schwülstig hatte er
sich am Telefon ausgedrückt. »Dass Frau Werkmann nicht in der Lage ist, selbst
an diesem Gespräch teilzunehmen, verstehen Sie sicher«, legte Rainer Pietsch
nach.
    »Ja, das verstehe ich. Und es ist vielleicht für uns alle auch
besser, wenn sie hier nicht mit in der Runde sitzt. Frau Werkmann ist … wie
soll ich sagen … in letzter Zeit etwas überspannt.«
    »Überspannt? Ihr Kind wurde totgefahren!«
    Annette Pietsch legte ihrem Mann eine Hand auf den Arm. Wehling sah
Rainer Pietsch nachsichtig an.
    »Wir sind alle etwas angespannt, Herr Pietsch. Seien Sie versichert,
dass uns Kevins Tod auch sehr nahegeht – aber selbst ein so tragisches Unglück
rechtfertigt nicht jedes Benehmen. Und da ist Frau Werkmann, fürchte ich,
deutlich zu weit gegangen.«
    Rainer Pietsch wollte wieder aufbrausen, aber er fing gerade noch
den warnenden Blick seiner Frau auf.
    »Gut«, sagte Wehling nach einer kleinen Pause. »Versuchen wir das
Thema möglichst emotionslos anzugehen, ja?«
    Er sah in die Runde.
    »Sie haben die Kollegen Moeller sehr hart kritisiert, Herr Pietsch.
Auf die einzelnen Vorwürfe will ich nun gar nicht im Detail eingehen …«
    »Warum nicht?«, unterbrach ihn Pietsch. »Deshalb sind wir doch hier,
oder? Wir wollen doch über die pädagogischen Ansätze von Herrn und Frau Moeller
reden – und darüber, was sie anders machen könnten, um unsere Bedenken gegen
sie auszuräumen. Zum Beispiel.«
    »Nein, deshalb sind wir nicht hier. Es kann in einer Schule mit
tausend Kindern und all den Eltern dieser Kinder nicht darum gehen, sich nach
den Wünschen von zwei, meinetwegen drei Personen zu richten.«
    Rainer Pietsch sah ihn mit offenem Mund an. Was war hier los?
    »Im Gegenteil sind praktisch alle Eltern mit den Erfolgen von Herrn
und Frau Moeller sehr zufrieden, das wurde mir auch in den vorbereitenden
Gesprächen für diese Runde noch einmal ausdrücklich versichert.«
    »In welchen vorbereitenden Gesprächen?«, fragte Annette Pietsch,
während ihr Mann immer noch damit beschäftigt war, die unerwartete Wendung des
Gesprächs zu verdauen.
    »Ich habe vor unserem heutigen Treffen natürlich mit den
Elternbeiräten jener Klassen gesprochen, in denen das Ehepaar Moeller
unterrichtet – und der Eindruck ist eindeutig: Alle sind sehr zufrieden, gerade
auch mit der positiven Leistungsentwicklung der Schüler.« Wehling beugte sich
etwas vor und legte seine Fingerspitzen aneinander. »Außer Ihnen und Frau
Werkmann. Und wenn wir Kevins Mutter die mildernden Umstände zugestehen, die
Sie ja auch heute schon für sie eingefordert haben, bleiben nur noch Sie beide
übrig.« Wehling machte wieder eine Pause, Annette und Rainer Pietsch sahen sich
an. »Und deshalb schlage ich im Interesse der Schule und auch im Interesse
Ihrer Kinder vor, dass Sie … nun ja …« Er stockte, ganz so unverblümt
traute er es sich dann doch nicht auszusprechen. »Es gibt allein in dieser
Stadt noch weitere staatliche Gymnasien«, brachte er schließlich hervor. »Und
auch Privatschulen könnten sich eignen.«
    »Sie wollen, dass wir …?«
    »Sehen Sie, Herr Pietsch: Sie bringen mit Ihren anhaltenden
Vorwürfen und mit Ihren Unterstellungen den Frieden an dieser Schule in Gefahr,
und Sie haben ja selbst oft genug gesagt, dass Sie nicht damit einverstanden
sind, wie Herr und Frau Moeller Ihre Kinder unterrichten. Wäre es da nicht am
besten, wenn Ihre Kinder andere Lehrer bekämen – eine Chance auf einen
Neustart, gewissermaßen? Gänzlich unbelastet von Ihrer … inzwischen schon
ziemlich aufgeheizten Fehde mit meinen beiden Kollegen.«
    Rainer Pietsch war fassungslos. Am liebsten hätte er laut
herausgeschrien, dass er Franz Moeller morgens dabei ertappt hatte, wie er vor
dem Haus von Christine Werkmann stand und finster zu ihrer Wohnung
hinaufgeschaut hatte – und dass Christine Werkmann deshalb vermutlich längst am
Ende ihrer Nerven angekommen war. Aber er

Weitere Kostenlose Bücher