Kinderfrei
davon ausgehen, dass die Ehe auch in einer solch angespannten Situation die Grundlage für die erhöhte Belastbarkeit der Partnerschaft darstellt, und es liege ferner in seinem Ermessen, dass er die eheliche Partnerschaft als besonders geeignet ansieht, diese Belastungen und Risiken auch gemeinsam zu bewältigen. 47
› Hinweis
Ein schöner Gedanke. Allerdings sagt die Dauer einer Beziehung oder Ehe weit mehr über die Stabilität der Beziehung aus als die bloße Tatsache, verheiratet zu sein. Leider wird jedoch weder geprüft, wie lange ein Paar vor der künstlichen Befruchtung verheiratet war, oder wenigstens, wie lange es vor der Eheschließung in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft gelebt hat, denn in der Praxis gehen viele vorher unverheiratete Paare überhaupt nur deshalb die Ehe ein, um die Kostenerstattung für die künstliche Befruchtung in Anspruch nehmen zu können. Das kann man ihnen nicht verdenken, es spricht allerdings der vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil wiedergegebenen Stellungnahme des Bundesgesundheitsministeriums Hohn, der zufolge das Bestehen einer Ehe »komplizierte Einzelfallprüfungen« erspart und sich als »objektivierbares Kriterium für die Festigkeit einer Partnerschaft« 48
› Hinweis
erweist.
Ganz anders hingegen beim Adoptionsverfahren: Dort wird bei der Prüfung des Adoptionsantrags auch die Dauer der Beziehung des adoptionswilligen Paares berücksichtigt, da diese als Indikator für die Stabilität der Beziehung gilt. Bei der künstlichen Befruchtung aber wird eine zehnjährige Ehe in einen Topf geworfen mit einer Ehe, die gerade erst einmal seit einem halben Jahr besteht; eine zehnjährige nichteheliche Beziehung wird mit einer zweijährigen nichtehelichen Beziehung gleichgesetzt und zählt letztlich genauso viel wie diese, nämlich nichts, denn selbst die kürzeste Ehe zählt mehr als die langjährige Beziehung davor.
Doch gehen wir einfach einmal davon aus, dass die »Stabilitätsgewähr der Ehe« mehr ist als eine verstaubte Fantasie. Dann besteht immer noch das Problem, dass es mittlerweile in Deutschland eine weitere auf Dauer angelegte Gemeinschaft gibt, mit der die Partner rechtlich verbindlich Verantwortung füreinander übernehmen: die eingetragene Lebenspartnerschaft. Diese ist, wie es so schön heißt, nach dem geregelten Lebenssachverhalt und den mit der Normierung verfolgten Zielen der Ehe vergleichbar. In Anbetracht besagter Vergleichbarkeit rechtfertigt der bloße Verweis auf das in Art. 6 GG enthaltene Schutzgebot der Ehe keine Differenzierung zwischen der Ehe und einer anderen Lebensform, urteilte das Bundesverfassungsgericht 2009 kurz und knapp. Mit diesem Urteil dürfte § 27a SGB V zumindest insoweit gegen das Gleichheitsgebot nach Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen, als er homosexuelle Paare in eingetragener Lebenspartnerschaft ausschließt. Das nur nebenbei.
Das eigentlich Erstaunliche an § 27a SGB V ist jedoch, dass er überhaupt existiert. Schließlich gilt, wir erinnern uns, dem deutschen Gesetzgeber zufolge die künstliche Befruchtung nicht als medizinisch notwendige Heilmaßnahme. Warum also gibt es ihn? Mit viel Fantasie könnte man denken, dass sich aus dem in Art. 6 GG enthaltenen Recht, eine Familie zu gründen, eine Pflicht des Staates ableiten ließe, das Entstehen einer Familie durch künstliche Befruchtung finanziell zu ermöglichen. Dann allerdings würde die Kostenregelung in § 27a SGB V gegen Art. 3 Abs.1 GG verstoßen, da sie finanziell schwächere Paare benachteiligt. Gemäß der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lässt sich aus Art. 6 GG jedoch gerade keine derartige Pflicht des Gesetzgebers ableiten: »In Bezug auf Maßnahmen der künstlichen Befruchtung besteht keine staatliche Verpflichtung, die Entstehung einer Familie mit den Mitteln der gesetzlichen Krankenversicherung zu fördern, sondern es handelt sich um eine in seinem Ermessen stehende Leistung, die nicht medizinisch für eine Therapie notwendig ist, sondern die Wünsche eines Versicherten für seine individuelle Lebensgestaltung betrifft [Hervorhebung durch d. Verf.]. Dann bleibt es aber im Rahmen seines Gestaltungsspielraums, wenn der Gesetzgeber sich zu einer Förderung von Maßnahmen künstlicher Befruchtung entschließt, dies aber generell auf eine Teilförderung beschränkt.« 49
› Hinweis
Die künstliche Befruchtung ist also eine Wunschbehandlung, die der Gesetzgeber finanziell unterstützen kann, aber nicht muss. Dieses Kriterium trifft
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