Kinderfrei
auch auf eine andere Maßnahme zu: die Sterilisation. Während die Wunschbehandlung künstliche Befruchtung jedoch immerhin zu 50% finanziert wird, werden seit dem 1. Januar 2004 die Kosten für eine Sterilisation, die vor diesem Datum ebenso wie die künstliche Befruchtung voll erstattet wurden, von den Krankenkassen gar nicht mehr übernommen – und zwar mit ebendieser Begründung, nämlich dass es sich um eine medizinisch nicht notwendige Wunschbehandlung handle. Eine Ausnahme gilt für eine durch Krankheit erforderliche Sterilisation (§ 24b Abs. 1 SGB V). Von der medizinischen Notwendigkeit einer Sterilisation in diesem Sinne gehen die Krankenkassen in aller Regel nur dann aus, wenn die Schwangerschaft die Gefahr einer Gesundheitsbeeinträchtigung für die Frau bedeuten würde. Das ist im Übrigen eine interessante Definition des Begriffs Gesundheitsbeeinträchtigung. Wenn Übelkeit, Wassereinlagerungen in Beinen und Füßen, Stimmungsschwankungen, stundenlange starke Schmerzen bei Wehen und Geburt, Reißen des Muskelgewebes zwischen Vagina und After und wochenlange Schmerzen nach der Geburt keine Gesundheitsbeeinträchtigung darstellen, was dann? Und was die Psyche angeht: Jede absolut ungewollte Schwangerschaft beeinträchtigt die seelische Gesundheit der Frau erheblich, und bei einer Frau, die eine Sterilisation vornehmen lassen möchte, kann man wohl davon ausgehen, dass jede Schwangerschaft ungewollt wäre. Besonders erschreckend ist, dass der Medizinische Arbeitskreis pro familia NRW im Jahr 2005 anlässlich eines Preisvergleichs zur Sterilisation der Frau feststellte, dass selbst in medizinisch begründeten Fällen die Kostenübernahme der Sterilisation von den Krankenkassen häufig abgelehnt wird. Eine Genehmigung der Kostenübernahme erfolgt meist nur in Fällen, in denen durch die Schwangerschaft eindeutige Lebensgefahr für die Frau besteht; eine drohende Gesundheitsverschlechterung reicht in den meisten Fällen nicht aus. 50
› Hinweis
Gewiss, auch die Förderung der Sterilisation als Wunschbehandlung liegt im Ermessen des Gesetzgebers, aber es ist schon bezeichnend: eine kostenintensive Behandlung mit relativ geringer Erfolgsquote zur Erzwingung einer von der Natur nicht vorgesehenen Schwangerschaft wird finanziert, eine verhältnismäßig kostengünstige Behandlung, deren Erfolgsaussichten beinahe 100% betragen, um sich dauerhaft vor einer unerwünschten Schwangerschaft zu schützen, ohne seinen Körper mit Hormonen (Pille) oder Fremdkörpern (z. B. Spirale) belasten zu müssen, hingegen nicht. Nun hegen beileibe nicht nur überzeugte Kinderfreie den Wunsch nach einer Sterilisation, sondern auch Eltern, die keine weiteren Kinder mehr wollen. Doch gerade für überzeugte Kinderfreie ist die Sterilisation nicht nur eine Möglichkeit, sich ein für allemal der Gefahr einer ungewollten Schwangerschaft zu entledigen, sondern auch eine willkommene Maßnahme, ihre Kinderfreiheit gewissermaßen offiziell zu »besiegeln«. Nicht wenige Kinderfreie, die sich einer Sterilisation unterzogen, haben dies als ein befreiendes Ritual erlebt, ganz zu schweigen von dem Vorteil einer unbeschwerteren Sexualität. Dass die Sterilisation ganz aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen gestrichen wurde, ist also besonders für Kinderfreie enttäuschend, denn es zeigt, dass wir von einer Anerkennung der Kinderfreiheit als gleichwertiger Lebensform noch ein gutes Stück weit entfernt sind. Angesichts des Vermehrungswahns in unserem Land ist das allerdings nicht weiter erstaunlich.
Viel ärgerlicher und absolut unverschämt ist hingegen die Behandlung von Frauen mit Sterilisationswunsch durch Ärzte. Diese Frauen, selbst wenn sie schon mehrere Kinder haben, müssen sich rechtfertigen und einer Gewissensprüfung unterziehen lassen wie weiland ein Kriegsdienstverweigerer, und die Ärzte nehmen sich das Recht heraus, ihnen nach eigenem Gutdünken die Sterilisation zu verweigern. So wird diesen Frauen eindringlich geraten, doch gewissenhaft zu bedenken, dass sich die Familienverhältnisse durch den möglichen Tod des Partners oder durch eine Scheidung ändern könnten. Als ob man das nicht wüsste, wenn es einem keiner sagt. Auch die Anzahl bereits vorhandener Kinder spielt bei der Einwilligung des Arztes, eine Sterilisation vorzunehmen, eine Rolle. 51
› Hinweis
Das entscheidende Urteilskriterium ist jedoch das Alter: Für eine kinderlose Frau unter dreißig ist es nahezu aussichtslos, einen Arzt zu finden,
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