Kinderfrei
nötige Verbesserung der bestehenden Bildungsqualität würde sogar noch mehr Personal, neue Lehranstalten und Bildungsmaterialien erfordern. Darüber hinaus ist bis 2025 in diesen Ländern mit einem Anstieg der erwerbsfähigen Bevölkerung (15–59 Jahre) um mehr als 200 Millionen Menschen zu rechnen. Das bedeutet, dort müssten mindestens 9,5 Millionen neue Arbeitsplätze pro Jahr geschaffen werden, um die derzeitige Erwerbsquote aufrechtzuerhalten. 94
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Wie soll das gehen? Die UNO weiß es nicht und deshalb sieht sie die hohe Geburtenrate als zentrales Problem und Hemmschuh für die Verbesserung der Lebensbedingungen an. Aber auch die Regierungen der betroffenen Länder erkennen zunehmend das Dilemma: Im Jahr 2009 stuften die Regierungen von 42 der 49 am wenigsten entwickelten Länder ihre Geburtenraten offiziell als zu hoch ein, und 44 unterstützten die Verbreitung von Informationen und Aufklärung über Familienplanung und Verhütungsmitteln durch staatliche Einrichtungen. 95
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Doch geht es nicht »nur« um Infrastruktur; schon das bloße Überleben der Menschen wird vielerorts durch hohes Bevölkerungswachstum gefährdet. Mehr als zwei Drittel von Afrika sind Trockengebiete. Die nördliche Sahara bedeckt mindestens die Hälfte von Algerien, Libyen und Ägypten, die südliche Sahara erstreckt sich weit hinein nach Mali, Niger, Somalia, in den Tschad und den Sudan. Gleichzeitig gehören viele dieser Länder zu den Regionen mit dem stärksten Bevölkerungswachstum. Die Einwohnerzahl von Niger beispielsweise wächst um 3,4% pro Jahr und wird sich Prognosen zufolge bis 2050 mehr als verdreifachen: von 14,4 Millionen im Jahr 2006 auf 50,2 Millionen im Jahr 2050. Die Bevölkerungen des Tschad, von Eritrea, Äthiopien oder des Sudan würden sich bei der derzeitigen Rate des Bevölkerungswachstums innerhalb von weniger als dreißig Jahren verdoppeln. 96
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Doch bereits heute werden die an die Wüsten angrenzenden Wald- und Ackerflächen immer stärker übernutzt, was mit zur Versteppung beiträgt. Auch in Nigeria, dem bevölkerungsreichsten Land Afrikas, in dem sich die Einwohnerzahl zwischen 1961 und 2007 verdreifacht hat, hat der steigende Bedarf an menschlicher Nahrung ebenso wie an Viehfutter zur Überlastung des Bodens geführt. Jedes Jahr gehen mehr als 350 000 Hektar durch Versteppung verloren. 97
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Kriegerischen Auseinandersetzungen wie etwa im Sudan liegen häufig Konflikte um fruchtbares Land zugrunde. Die Ausbreitung der Wüsten und bewaffnete Konflikte zwingen immer mehr Menschen, ihre Heimatgebiete zu verlassen. Ende 2005 gab es dem UNHCR zufolge weltweit 20,8 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene, ein Anstieg von 6% gegenüber dem Vorjahr. Nach Angaben der UNO besteht für 135 Millionen Menschen weltweit die Gefahr der Vertreibung aufgrund von Desertifikation und für die nächsten 20 Jahre wird mit 60 Millionen Flüchtlingen gerechnet, die die unfruchtbar gewordenen Regionen der Subsahara Richtung Nordafrika und Europa verlassen werden. 98
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Wie kann jemand angesichts dieses Elends ernsthaft behaupten, die Besorgnis über das Bevölkerungswachstum richte sich nicht auf das Wohlergehen der Menschen, sondern sei rassistisch begründet? Dann waren wohl auch die Gesundheitsminister der Afrikanischen Union sich selbst gegenüber rassistisch motiviert, als sie 2006 einstimmig beschlossen, einen Maßnahmenplan zu verabschieden, mit dem der uneingeschränkte Zugang zu umfassenden Familienplanungs- und Gesundheitsdiensten auf dem gesamten Kontinent sichergestellt werden soll. 99
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Nein, die Probleme des Bevölkerungswachstums zu ignorieren hat nichts mit Menschenfreundlichkeit zu tun. Im Gegenteil, wer so denkt, ist nicht nur naiv, sondern menschenfeindlich. Wer »aus Liebe zum Menschen« die Ankunft neuer Menschen auf diesem Planeten prinzipiell und uneingeschränkt begrüßt, obwohl es schon für die vorhandene Bevölkerung kaum noch genug Ressourcen gibt, schenkt letztlich – so hart es klingen mag – dem Konzept »neues menschliches Leben« mehr Achtung als den Bedürfnissen tatsächlich existierender Menschen aus Fleisch und Blut. Er nimmt in Kauf, dass die Neugeborenen von vorneherein zu einem Leben im Mangel und möglicherweise – man denke nur an die hohe Kinder- und Säuglingssterblichkeit in einigen afrikanischen Ländern – zu einem frühen Tod verurteilt sind. Dahinter verbirgt sich eine profunde Gleichgültigkeit gegenüber
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