Kinderfrei
menschlichem Leiden.
An dieser Stelle muss ausdrücklich nochmals darauf hingewiesen werden, dass der fehlende Zugang zu Verhütungsmitteln eine eklatante Menschenrechtsverletzung darstellt, in vielen Fällen sogar eine Verletzung des wichtigsten aller Menschenrechte, nämlich des Rechts auf Leben. In jeder Minute werden weltweit 380 Frauen schwanger, 190 davon laut Angaben des UNFPA ungewollt (Stand 2002). Gleichzeitig sterben jedes Jahr beinahe 600 000 Frauen durch eine Geburt oder unsachgemäß durchgeführte Abtreibung. Bis zu 50% dieser Frauen verlieren ihr Leben also aufgrund von Schwangerschaften, die vermieden worden wären, wenn die Frauen hätten verhüten können.
Außerdem, das soll an dieser Stelle betont werden, richtet sich die Aufforderung, Paare gezielt zu kleineren Familien zu ermutigen, um das Bevölkerungswachstum zumindest zu verlangsamen, wie es etwa die britische Organisation Population Matters vorschlägt, ausdrücklich auch an die Regierungen der westlichen Industrienationen. 100
› Hinweis
Gerade im Westen jedoch stoßen derartige Vorschläge häufig auf konsternierte oder ablehnende Reaktionen. Dem liegt die weitverbreitete Vorstellung zugrunde, Fortpflanzung sei eine Privatangelegenheit, in die sich andere Menschen und erst recht der Staat nicht einzumischen hätten. Aus dieser Annahme wird ein Recht, beliebig viele Kinder in die Welt zu setzen, abgeleitet – sozusagen ein Recht auf unbegrenzte Fortpflanzung. Das ist einerseits verständlich, da Fortpflanzung eng mit Sex verbunden ist; ein intimerer, sprich privaterer Bereich lässt sich kaum denken. Nichtsdestotrotz gibt es für diese Annahme keinerlei rechtliche oder ethische Grundlage. Das mag verblüffen, ist aber so.
Betrachten wir internationale Rechtsnormen. Hier werden wir so etwas wie ein Menschenrecht auf unbegrenzte Fortpflanzung nirgendwo finden, auch wenn einige Quellen internationalen Rechts existieren, die diesen Schluss nahezulegen scheinen. Beispielsweise erklärte die UN-Menschenrechtskonferenz in Teheran 1968, dass die freie und verantwortungsvolle Entscheidung über die Anzahl ihrer Kinder und den Altersabstand zwischen den Kindern ein »grundlegendes Menschenrecht« der Eltern sei. Ähnlich formulierte dies 1994 die UN-Bevölkerungskonferenz in Kairo, indem sie ein »Grundrecht aller Paare und Individuen« anerkannte, die Anzahl ihrer Kinder und deren Altersabstand »frei und verantwortungsvoll zu bestimmen«, und staatlichen Zwang in Fortpflanzungsfragen verbot. Allerdings handelt es sich hierbei nicht um verbindliche Rechtsquellen, sondern um bloße Absichtserklärungen, an die die einzelnen Staaten in keiner Weise gebunden sind.
Es ist auch mehr als fraglich, ob diese Erklärungen wie andere unverbindliche Rechtsquellen ein Völkergewohnheitsrecht begründen, denn dazu wäre erforderlich, dass eine allgemeine Übung der Anwendung dieser Erklärungen besteht, die Staaten sich in der Praxis also tatsächlich an diese Vorgaben halten, und zwar nicht aus politischen Motiven oder Gründen der internationalen Höflichkeit, sondern weil sie sich an die betreffenden Regelungen rechtlich gebunden fühlen, sie also als Recht anerkennen (vgl. Art. 38 Abs. 1 (b) des Statuts des Internationalen Gerichtshofs). Davon kann aber keine Rede sein. Denn zahlreiche Staaten haben in der Vergangenheit das Recht ihrer Bürger, sich in Sachen Kinderzahl völlig frei zu entscheiden, ignoriert – man denke nur an die bereits erwähnten Beispiele China, Indien und Rumänien – und tun dies weiterhin. Jeder Staat, in dem Abtreibung nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig oder gar ganz verboten ist, übt im Grunde Zwang aus. Man könnte sogar argumentieren, dass auch jeder Staat, der sich nicht wenigstens darum bemüht, uneingeschränkten Zugang zu Informationen über Familienplanung und zu Verhütungsmitteln zu gewährleisten, Zwang ausübt. Kurz und gut, in der Praxis halten sich also die meisten Staaten nicht an die Erklärung der UN-Bevölkerungskonferenz und fühlen sich zu deren Umsetzung offensichtlich auch nicht verpflichtet. Von daher ist es wahrscheinlich kein Zufall, dass verbindliche Völkerrechtsquellen eine weit weniger detaillierte Formulierung eines Rechts auf Fortpflanzung enthalten. 101
› Hinweis
Werfen wir einen Blick auf die Menschenrechte, die Rechte, mit denen jeder Mensch von Geburt an ausgestattet ist, etwa das Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit und Eigentum. Sie sind in der
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