Kinderfrei
Weiteren zitiert Thomson das Buch The Essential Exponential! For the Future of Our Planet des US-amerikanischen Physikprofessors Albert Bartlett, das ein Kapitel mit dem Titel »Democracy cannot survive overpopulation« enthält. Darin heißt es: »Als ich 1950 nach Boulder zog, betrug die Bevölkerung 20 000, und es gab 9 Stadträte. Heute hat Boulder 100 000 Einwohner, und es gibt immer noch 9 Stadträte.« Ursprünglich, so Bartlett, war jeder Abgeordnete im Kongress der Vereinigten Staaten für 30 000 Wähler zuständig; heute sind es 700 000 Wähler pro Kongressabgeordnetem. Es ist schlichtweg unmöglich, derart viele Menschen wirklich politisch zu vertreten, daher ist es für Politiker viel leichter, sich nach Lobbyisten zu richten. Wir können nachgerade dabei zusehen, wie die Interessen, die Wünsche und die Meinung jedes Einzelnen von uns immer unwichtiger werden. 109
› Hinweis
Doch zurück zu unserem juristischen Problemfall, dem Recht auf Familiengründung bzw. Fortpflanzung. Angesichts der Nachteile, Defizite und Gefahren einer zu hohen Bevölkerungszahl ist nun die große Frage: Wie kann eine einschränkende Definition des Rechts auf Familiengründung, sprich die zahlenmäßige Limitierung des Nachwuchses, mit dem Prinzip der Freiwilligkeit vereinbart werden? Die Antwort lautet: mit einem ausgeklügelten Anreizsystem. Das beste Beispiel dafür ist die Steuergesetzgebung. Durch steuerliche Anreize wie Steuerbefreiungen und -ermäßigungen oder Absetzungsmöglichkeiten macht der Staat deutlich, welche Verhaltensweisen er für besonders wünschenswert hält und welche nicht. Gleichermaßen könnte er auf diese Weise zum Ausdruck bringen, dass er kleinere Familien als im Interesse des Allgemeinwohls liegend erachtet. Das hätte eine insofern nachhaltige Wirkung, als grundsätzlich eine Wechselwirkung zwischen den Wertvorstellungen einer Gesellschaft und ihrer Rechtsordnung besteht. Letztere ist Ausdruck dessen, welche Tatbestände diese Gesellschaft als rechtlich relevant ansieht und was sie für richtig und falsch hält; gleichzeitig formt sie die in der Gesellschaft vorherrschende Auffassung darüber, was rechtlich relevant, was richtig und was falsch ist. Letztlich geht es also darum, durch eine einschränkende Definition des Rechts auf Familiengründung ein Bewusstsein für die rechtliche Bedeutung der Anzahl der Kinder, die ein Elternpaar bekommt, zu schaffen – und so einen Wertewandel herbeizuführen. Auf internationaler Ebene könnte dies etwa in Form eines internationalen Protokolls oder eines internationalen Abkommens geschehen, in dem die Staaten diese rechtliche Relevanz anerkennen und sich beispielsweise verpflichten, den Menschen in ihrem Land uneingeschränkten Zugang zu Verhütungsmitteln zu ermöglichen, wo dies noch nicht der Fall ist, und ihre Bevölkerung über die Vorteile kleiner Familien aufzuklären.
Im Übrigen sollten wir uns nichts vormachen. Auch in Deutschland wird seit der Einführung des Elterngelds Bevölkerungspolitik betrieben, auch wenn wir von Familienpolitik sprechen. Denn während Bevölkerungspolitik auf eine Beeinflussung der Geburtenzahlen ausgerichtet ist, versteht man unter Familienpolitik gemeinhin nur eine Politik, die Rahmenbedingungen dafür schafft, dass Menschen ihren Kinderwunsch frei verwirklichen können. Das Elterngeld aber wurde mit dem ausdrücklichen Ziel eingeführt, die Geburtenrate zu erhöhen, stellt also eine bevölkerungspolitische Maßnahme dar, und eine besonders zweifelhafte obendrein. Denn sie richtet sich nicht auf eine Erhöhung der Geburtenrate allgemein, sondern soll vor allem eine bestimmte sozioökonomische Schicht zum Kinderkriegen ermutigen: gut ausgebildete, gut verdienende Paare, damit nicht nur die »Falschen«, sprich sozial Schwächere, sich fortpflanzen. Diesem Ansinnen hat die Bundesregierung im Jahr 2010 noch einmal Nachdruck verliehen, indem sie das Elterngeld für Hartz-IV-Empfänger gestrichen hat. Da sieht man übrigens, wie schnell so etwas gehen kann: Heute noch hat eine Frau einen guten Job und ihre Gebärmutterdienstleistungen sind heiß begehrt, morgen wird sie arbeitslos, und übermorgen schon gehört sie plötzlich zu einer völlig anderen Gattung Mensch, deren Vermehrung man keinesfalls noch unterstützen darf. Doch diese Art der Bevölkerungspolitik wird allgemein akzeptiert. Oder haben Sie schon einmal von einem Elternpaar gehört, das gegen die Einführung des Elterngelds protestiert oder das Elterngeld mit
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