Kinderfrei
lassen. Ab einem bestimmten Punkt kehren sich sämtliche Vorteile, die das Bevölkerungswachstum einmal gehabt haben mag (z. B. höhere Steuereinnahmen, wirtschaftliches und kulturelles Wachstum), in Nachteile um. Es wird immer schwieriger und teurer, die von einer stetig steigenden Zahl an Menschen benötigte Infrastruktur bereitzustellen. Die Lebenshaltungskosten schießen in die Höhe, die Lebensqualität des Einzelnen nimmt drastisch ab: mehr Luftverschmutzung, Staus, Müll, Kriminalität, Gedränge, Lärm, Stress. Lange Wartezeiten in Krankenhäusern, auf Schul- oder Kindergärtenplätze. Gleichzeitig wird unser aller Freiheit massiv eingeschränkt. Je mehr Menschen in einer Gemeinschaft zusammenleben, desto komplexer gestaltet sich dieses Zusammenleben und erfordert entsprechend mehr Regeln und Vorschriften. Der Einzelne kann sich immer weniger frei entfalten, ohne mit den berechtigten Interessen anderer Menschen in Konflikt zu geraten. Deshalb können wir nun mal nicht jeden Abend auf dem Balkon grillen, um Mitternacht ein Vollbad nehmen, die ganze Nacht lang Partys feiern oder in der Mittagspause Klavier üben, und wir sollten uns tunlichst laute Lustschreie beim Sex verkneifen. Auf der anderen Seite ist es in dicht besiedelten Gebieten schwierig, wenn nicht gar unmöglich geworden, echte Stille zu erfahren oder ungestört von anderen Menschen Natur zu genießen.
Ironischerweise treffen die Folgen dichter Bevölkerung besonders die Kinder in einer Gesellschaft, und das bei Weitem nicht nur in armen Ländern, sondern auch in westlichen Industrienationen: Immer mehr Straßenverkehr und immer mehr Bebauung bedeuten immer weniger Raum für Kinder, um zu spielen, zu toben oder die Natur zu erleben. Als ob es gälte, all diese Einbußen an Freiheit in irgendeiner Form wieder wettzumachen, wird gerade in Deutschland mit schier krampfhaftem Eifer versucht, dem vagen Ziel der »Kinderfreundlichkeit« alle anderen Interessen, etwa das Bedürfnis nach Ruhe und Erholung, unterzuordnen. Im Gegensatz zu lauter Musik darf niemand Kinderlärm als störend empfinden, ohne gleich als »Kinderfeind« gebrandmarkt zu werden – egal, ob er mit Migräne im Bett liegt, sich auf eine Prüfung vorbereiten muss oder einfach nur in einem Café entspannt Zeitung lesen möchte. Die Erregung über kinderfreie Cafés oder auch nur kinderfreie Bereiche in Cafés ist übrigens besonders lächerlich, da hier gar keine originären Interessen der Kinder betroffen sind, denn welches Kind hätte schon jemals von sich aus das Bedürfnis verspürt, stundenlang in Cafés herumzuhängen? Letztlich ist die fixe Idee, dass Kinder immer und überall willkommen sein müssen, nichts weiter als eine spezielle Ausprägung des allgemeinen Vorrangs, der dem »Recht auf Fortpflanzung« eingeräumt wird.
Ein weiteres Problem, das mit dem Bevölkerungswachstum einhergeht, ist ein demokratisches Defizit auf lokaler ebenso wie auf nationaler Ebene. Die nachfolgende Begebenheit, von der der australische Parlamentsabgeordnete Kelvin Thomson in einer Rede berichtet, die er am 10. Februar 2010 vor der Organisation Sustainable Population Australia hielt, hat zwar nicht direkt mit Fortpflanzung zu tun, veranschaulicht aber drastisch, wie die demokratische Teilhabe leidet, wenn die Bevölkerung im Gegensatz zur Anzahl ihrer Volksvertreter wächst – diese Anzahl lässt sich nicht proportional zum Bevölkerungswachstum erhöhen, da dies zu einer Kostenexplosion in den öffentlichen Kassen führen würde. In den 1980er-Jahren war Thomson als Stadtrat in Coburg für einen Bezirk von etwa 6000 Wählern zuständig. Er und die anderen Stadträte, die für ähnlich große Gebiete zu sorgen hatten, konnten ein enges Verhältnis zu den Einwohnern der von ihnen vertretenen Bezirke unterhalten und jedem Problem, das an sie herangetragen wurde, zumindest eine gewisse Aufmerksamkeit widmen. In den 1990er-Jahren wurden mehrere Städte, darunter Coburg, zu einer neuen Stadt, Moreland, verschmolzen, sodass nunmehr jeder Stadtrat für ca. 10 000 Wähler zuständig war. Heute, so Thomson, vertritt jeder Stadtrat in Moreland etwa 35 000 Wähler. Die größeren Wahlbezirke haben dazu geführt, dass die Stadträte gar nicht mehr die Zeit haben, den Meinungen und Problemen der Bürger in dem Ausmaß Aufmerksamkeit zu schenken, wie es früher der Fall war. Da sie weitaus mehr Menschen zu vertreten haben, spielen die Belange jedes Einzelnen zwangsläufig keine so große Rolle mehr.
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