Kinderfrei
Menschen, die entweder in Maßnahmen wie Umschulung, 1-Euro-Jobs etc. untergebracht sind oder dem Arbeitsmarkt zwar zur Verfügung stehen, aber nicht als arbeitslos registriert sind – darunter auch Menschen, die zwangsweise frühpensioniert wurden oder sich entmutigt aus dem Arbeitsmarkt zurückgezogen haben, oder Personen, überwiegend Frauen, die Kinder betreuen bzw. Angehörige pflegen und wegen mangelnder Infrastruktur aus dem Erwerbsleben gedrängt wurden. Erst wenn also, wie es immer so kernig heißt, jeder, der arbeiten will, auch Arbeit findet, und es dann immer noch unbesetzte Stellen gibt, liegt tatsächlich ein Arbeitskräftemangel vor. Darauf deutet jedoch nichts hin, weder für die kommenden fünf bis zehn Jahre noch langfristig. 2020 wird dem Deutschlandbericht 2030 zufolge das Erwerbspersonenpotenzial nicht kleiner sein als 2000; bis 2030 werden ca. 2,3 Millionen Arbeitslose vorausgesagt. Dies entspricht in etwa auch der mittleren Variante einer Prognose des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung aus dem Jahr 2005. 118
› Hinweis
Auch wenn Vorhersagen zum Arbeitsmarkt möglicherweise noch mehr mit Vorsicht zu genießen sind als andere Vorhersagen, vor allem langfristige, so lohnt sich dennoch ein vergleichender Blick auf verschiedene Prognosen zur Arbeitsmarktentwicklung, die für den Zeitraum von 2000 bis 2040 erstellt wurden, u. a. vom ifo-Institut, dem IW (Institut der deutschen Wirtschaft) und der sogenannten »Rürup«- und »Herzog«-Kommission. In der Zusammenschau wird klar: Ein demografisch verursachtes »Umkippen« des Arbeitsmarktes von Massenarbeitslosigkeit hin zu einem Arbeitskräftemangel ist nicht zu erwarten. Im Gegenteil, bei Annahme einer positiven Wirtschaftsentwicklung ist mit einer langfristigen Arbeitslosenquote von ca. 4–5% zu rechnen – allerdings erst ab 2030, davor ist die Arbeitslosenquote noch deutlich höher. Modellrechnungen, die von einer eher schlechten Wirtschaftsentwicklung ausgehen, prognostizieren sogar Arbeitslosenquoten, die mindestens auf dem Niveau von 2006 (12%) liegen. 119
› Hinweis
Damit wird noch nicht einmal das Ziel der Vollbeschäftigung erreicht, geschweige denn, dass es zu einer Verknappung von Arbeitskräften kommt.
Schade eigentlich, möchte man hinzufügen, denn aus Sicht der (potenziellen) Arbeitnehmer wäre eine solche Verknappung nur zu begrüßen. Man stelle sich vor: Arbeitnehmer wären keine billige »Massenware« mehr, jederzeit austauschbar, sondern ein kostbares Gut, um das die Unternehmen konkurrieren müssten: durch anständige Bezahlung, menschliche Arbeitsbedingungen und starke Arbeitnehmerrechte. Das dürfte übrigens genau der Grund sein, warum viele Arbeitgeber nichts so sehr fürchten wie eine tatsächliche Verknappung von Arbeitskräften. Also wird weiterhin kräftig das Märchen vom demografisch bedingten »drohenden« Arbeitskräftemangel verkündet, und je nach politischer Couleur werden entweder »Kinder« oder »Inder« gefordert. Hauptsache, das Heer der Arbeitslosen verschwindet nie vollständig, sodass es weiterhin wie ein Damoklesschwert über den Köpfen der Arbeitnehmer schweben kann.
Ein wenig anders sieht es bei dem heraufbeschworenen Fachkräftemangel aus, denn hier haben die Klagen zumindest einen wahren Kern. Es gibt bei Neueinstellungen unbestreitbar einen Trend zu steigenden Qualifikationsansprüchen. Während jedoch Deutschland zu denjenigen OECD-Staaten gehört, bei denen der Anteil von Personen im Alter von 45–55 Jahren mit einem tertiären Bildungsabschluss am größten ist, sind wir in diesem Bereich bei der Gruppe der 25–30-Jährigen bereits ziemlich ins Hintertreffen geraten. 120
› Hinweis
Dies liegt allerdings weniger an demografischen Faktoren, sondern in erster Linie an einem Erlahmen der in den 1960er-Jahren begonnenen Bildungsexpansion. Zwischen 1970 und 1990 sank der Anteil der öffentlichen Bildungsausgaben am BIP von über 5% auf unter 4%. Und auch wenn die staatlichen Ausgaben für Bildung in absoluten Zahlen steigen, so bleibt dieser Anstieg doch stets hinter dem Wirtschaftswachstum zurück. Der Anteil am BIP sinkt also weiter. Betrug er 1995 noch 4,1%, so waren es 2005 nur noch 3,9%. Zum Vergleich: Im wegen seines guten Abschneidens bei PISA so beneideten Finnland lag der Anteil der Bildungsausgaben 2005 bei 6,4%, in Norwegen bei 7,2% und in Dänemark sogar bei 8,3%.
Dieser hausgemachte Mangel an gut ausgebildetem »Humankapital« wird durch die demografische
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