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Kindermund (German Edition)

Kindermund (German Edition)

Titel: Kindermund (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pola Kinski
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-feiern.
    »Wir essen im Lieblingsrestaurant des Papstes!«, kommandiert mein Vater und treibt uns zu Fuß durch die Altstadt. Das Knattern von Motorrollern, Gelächter ist zu hören. Die Gasse öffnet sich vor uns zu einem Platz mit Brunnen. Eine Gruppe Jugendlicher erscheint von rechts, sie überqueren den Platz, kurz darauf sind sie hinter Häuserecken verschwunden. Ihr Lachen hallt noch nach. Mein Vater stoppt vor einem Haus, von dessen Wänden an vielen Stellen der Putz abgebröckelt ist; durch die Mauerschichten kann man einen Blick in vergangene Jahrhunderte werfen.
    Ein Türsteher nickt, öffnet uns schwungvoll und geschmeidig, um zu gefallen. Mein Vater belohnt ihn mit Geldscheinen. Die Verbeugung ist tief und heuchlerisch. Als wir an ihm vorbei sind, drehe ich mich um: Da steht er schon wieder.
    Auftritt im Restaurant! Der Besitzer stürmt meinem Vater entgegen, die Arme ausgebreitet, den Kopf schiefgelegt. Er bleckt das Gebiss, sie fallen sich in die Arme, pressen mehrmals abwechselnd die Backen aneinander, als wären sie engste Freunde, küssen sich. Mir wird schlecht von so viel Falschheit. Sie verzerren ihre Gesichter zu Grimassen, palavern auf Italienisch, das heißt mein Vater tut so, als ob er es fließend sprechen könnte. Er sucht nach Worten, sie stoßen holprig aneinander, füllt die Pausen mit viel äh, äh, äh … Es hört sich an wie leeres Geschwätz. Meine Beine tun weh, ich kann nach diesem Boutiquenmarathon nicht mehrstehen, ich habe Hunger. Jetzt winselt dieser Typ auch noch uns Mädchen an: »O, che belle bambole!« Ich schäme mich, schaue mich um. Köpfe beugen sich rasch über ihre Teller. Der Restaurantbesitzer muss mein Flehen gehört haben, endlich hat er Erbarmen und geleitet uns wie eine Königsfamilie durchs Lokal, vorbei an vollbesetzten Tischen.
    Das Raunen wird leiser. Ich fühle mich angegafft. Wieder begegnen mir Augenpaare: neugierig, misstrauisch, blasiert, abschätzig. Wir werden zu einem Tisch in einer ruhigen Ecke geleitet. Ich falle sofort auf einen Stuhl. Jetzt bin ich in Sicherheit! Leuchter, um einiges größer als mein Vater, stehen vor dem Tisch. An ihren Armen brennen weiße Kerzen. Auch von Wandleuchtern tropft Wachs. Von Gemälden glotzen die Fratzen verblichener Päpste. Mein Blick wandert zur Decke: Bögen, die in Säulen übergehen. Wir befinden uns in einem Gewölbe. Vielleicht war das mal eine Kirche. Es ist kühl hier drin. Mein Vater fährt sich unentwegt mit den Fingern durch die schulterlangen Haare. Bestimmt werden sie ganz fettig davon. Er bestellt für uns alle, natürlich.
    »Das Beste der Welt!«
    »Das Lieblingsgericht des Papstes!«
    Ich halte es nicht mehr aus vor Hunger. Ich schnuppere in die Richtung, aus der die Gerüche kommen, und wünsche mir nichts mehr als Spaghetti mit Butter und Parmesan.
    Endlich, da kommen sie! Kellner tänzeln wie auf dem Laufsteg auf uns zu, eingewickelt in weiße bodenlange Schürzen. Die Haare schwarz, ölig, glänzend. Über ihren Köpfen balancieren sie Platten und Schüsseln. Sie umkreisen uns. Von allen Seiten werden Tellertürme, beladen mit Krebsen und spinnenartigem Getier, vor unsere Nasen geschoben, es riecht nach Fisch. Fühler und Scheren hängen über den Rand, ich schüttle mich vor Ekel. Immer noch mehr von diesem Spinnenzeug wird vor uns aufgetürmt. Von Spaghetti mit Butter weit und breit nichts zu sehen. Mein Magen krampft vor Hunger. Ich suche verzweifelt nach etwas Verlockendem auf der festlichen Tafel, aber da ist nichts! Mein Vater erklärt uns mit wichtiger Miene, dass dies Hummer und Langusten seien. Die anderen Köstlichkeiten: Muscheln, Seeigel, Flusskrebse, Austern. Die müsse man roh genießen. Er macht vor, wie man das Zeug öffnet, bohrt mit einer Zange in die Schale – es knackt kurz und trocken. Zum Vorschein kommt rosafarbene Wabbelmasse, die er in seinen aufgesperrten Schlund gleiten lässt. Ich würge.
    Plötzlich hält er mir einen Berg glasig grauer Kugeln auf einem Esslöffel direkt vor den Mund. Es stinkt bestialisch nach Fisch. Ich halte die Luft an und blicke auf zu meinem Vater, der mich ungeduldig anfunkelt. Mechanisch öffne ich ein wenig die Lippen. »Mach den Mund auf!«, schnauzt er. Ich ziehe vorsichtig die Zähne auseinander. »Weiter!« Sein Nasenflügel zuckt, das bedeutet Gefahr! Ich gehorche. Der Haufen wird mir in den Mund geschoben. Meine Backen blähen sich, ich habe Angst zu ersticken. »Schluck es runter! Das ist Kaviar! Der teuerste der Welt!«,

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