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Kindermund (German Edition)

Kindermund (German Edition)

Titel: Kindermund (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pola Kinski
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Parfüm, nach Geld und Luxus. Mein Vater schließt die Wohnung auf.Ich habe es gewusst: sonnendurchflutete Räume, alle ineinander übergehend. Der Teppichboden wie ein Sandstrand, silbrig gegen das Licht, nur wenige Möbel. Eine Bank fällt mir auf, meergrün bezogen, sie sieht wahnsinnig alt aus. Ein paar Stühle, auch meergrün, ein Tisch. Auf dem Boden Bilder und Stapel von Büchern. Ich laufe zum Fenster. Mein Vater hatte recht: Die Kuppel des Vatikans thront über dem Häusermeer. Ich stelle mir vor, ich sei ein Vogel hoch oben auf einem Baum.
    Da werde ich von hinten überfallen von meiner Schwester und von Biggi. Während wir uns herzen und lachen, fällt mein Blick auf meinen Koffer. Er liegt mit offenem Maul auf dem Tisch. Mein Vater beugt sich darüber, zieht mit spitzen Fingern ein Kleidungsstück nach dem anderen heraus und schleudert es über seinen Kopf nach hinten. Dabei murmelt er Worte, die ich nicht verstehe, und sein Tonfall ist böse.
    »Was machst du da! Das sind meine Sachen!«, schreie ich, falle auf die Knie und suche die Kleider zusammen.
    »Alles hässlich!«, brüllt er mich an. »Das wird alles weggeworfen!« Ich lasse den Haufen fallen. Tränen laufen mir übers Gesicht, ich stürze in den Flur, suche das Bad, knalle die Tür hinter mir zu und schließe zweimal ab. An der Wanne sinke ich zusammen, schluchze hemmungslos laut. Ich will es nicht, aber ich kann nichts dagegen tun, es bricht aus mir heraus. Ich hasse ihn! Warum bin ich zu ihm gefahren? Was soll ich hier? Er ist so böse! Er hat kein Recht, meine Sachen wegzuwerfen! Wenn ich bloß Geld hätte! Dann würde ich sofort abhauen und zurück nach München fahren, mit dem Zug. Hinter der Tür höre ich die schmeichelnde Stimme meines Vaters: »Mein Geliebtes, mach auf, ich kaufe dir die schönsten Kleider! Hier in Rom gibt es die teuersten und besten Geschäfte der Welt!« Ich rühre mich nicht von der Stelle, gebe ihm keine Antwort. »Püppchen, mach jetzt sofort auf!« Seine Stimme wird drohend. Widerwillig lasse ich ihn herein. Er setzt sich auf den Wannenrand und zieht michauf seinen Schoß. Seine Zunge wühlt in meinem Ohr. Ich will flüchten, aber er hat es wohl geahnt, denn er hält mich fest. Panik überfällt mich, ich sträube mich. Er lächelt schmierig, streichelt meine Beine, fasst zwischen meine Schenkel, küsst mein Gesicht nass … Warum bin ich gekommen? Ich will weg hier, will zu Mama!
    Mein Vater lässt mich los, er hat entschieden, dass wir jetzt sofort in die Stadt fahren müssen, um Kleider zu kaufen.
    Er scheucht uns wie eine Hühnerschar aus der Wohnung, kurz darauf quetschen wir vier uns in dieses Miniauto: Biggi, er und ich vorne, meine Schwester auf dem Notsitz. Der Motor heult auf, wir rasen in Richtung Innenstadt. Ich habe keine Lust, mit ihm Frieden zu schließen, drehe mich weg, wenn er sich an mir reibt.
    Das Einkaufen wird zur Tortur. Mein Vater schleift mich von einer Boutique zur nächsten. Verkäuferinnen verzerren ihre Münder zu einem Dauerlächeln, fletschen Zähne. Sie sind sonnengebräunt und stark geschminkt, und sie bewegen sich auf Stilettos, als wären sie darin geboren. Berge von Kleidern, Hosen, Blusen, Hosenanzügen, Mänteln werden herbeigeschleppt. Ich glaube, alles, was im Geschäft ist, und das Lager dazu. Mein Vater sucht aus, sortiert, und ich muss unzählige Fummel an-und wieder ausziehen. Das meiste ist nicht schön genug für mich, er hat an jedem Stück etwas auszusetzen. Außerdem findet er alles viel zu groß. Gefällt ihm ein Kleid, dann wird der Schneider gerufen. Für mich bedeutet das Stillstehen, breitbeinig mit ausgestreckten Armen, unerträglich lange, während so ein Männlein oder Weiblein hockend um mich herum grätscht wie eine Spinne, die ihr Netz spinnt. Ich höre auf zu atmen, solange es geht. Dann kann ich nicht mehr, pruste los. Die Nadeln spritzen in alle Richtungen.
    Nach vielen Stunden darf ich mich aus der Zwangshaltung lösen. Ich habe keine Ahnung, was er gekauft hat. Auchwerde ich kein einziges Mal gefragt, ob mir etwas gefällt, ob ich es möchte. Es ist mir egal, ich will nur raus hier. Die Beine gehorchen mir nicht mehr, ich wanke aus dem Geschäft. Es dämmert schon, aber draußen pulsiert das Leben. Überall Menschen, die in Trauben zusammenstehen, schwatzen, Espresso trinken, obwohl Winter ist. Männer, Frauen, Kinder tanzen, heute ist Silvester! Irgendjemand hat auf einen Schlag alle Lampen der Stadt angeknipst. Gerne würde ich mittanzen und

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