Kindermund (German Edition)
ganz weit nach vorne beugen, um hinausschauen zu können. Der Fenstersturz ist mindestens einen Meter tief. Da unten steht er auf dem Kies, blau auf weiß, und grinst breit wie die Katze auf dem Baum aus Alice im Wunderland . Vor lauter Erleichterung, dass er gekommen ist, packe ich gleich vier Flaschen Bier, Salami, Käse, Schinken, Weißbrot in eine Schale und halte sie ihm auf der Treppe dankbar entgegen. »Grazie mille!«, freut er sich. Wir setzen uns wieder auf die Stufen, wir prosten uns zu, er erzählt seine Geschichten, während er ständig kaut. Manchmal sehe ich den Speisebrei in seinem Mund, das ekelt mich, und ich schaue schnell weg. Die Zeit verfliegt, er setzt seine Mütze wieder auf, verabschiedet sich und verschwindet. Leider!
Bestimmt ist es schon spät, aber ich will noch nicht ins Bett. Nichts ist zu hören vom Leben in der Stadt. Nicht mal Grillen zirpen. Manchmal ruft eine Eule. Sie ist weiß und so klein wie eine Birne, aber heute ist auch sie nicht da. Da zerfetzt ein Donnerschlag die Stille. Die Mauern zittern, der Boden vibriert. Was ist das? Ein Erdbeben? Geht die Welt unter? Babbo, bitte komm doch! Ich drücke mich flach auf die Steine, vergrabe mein Gesicht in den Armen. Ein Einbrecher! Ein Geist! Selbst das Weinen ist mir vergangen, ich habe nur noch Angst.
So findet mich mein Vater, ich habe ihn nicht kommen hören. Bestürzt fragt er mich, was passiert sei, ich stammle unzusammenhängendes Zeug. Er trägt mich ins Haus, setzt mich auf die Marmortafel, streichelt mir über den Kopf, küsst mich auf die Stirn. Er versucht mich zu beruhigen, bringt mir ein Glas Wasser. Gierig trinke ich es aus. Meine Zähne schlagen aufeinander, mein Körper wird geschüttelt, ich habe keine Kontrolle über mich. Mein Vater umarmtmich zärtlich, streichelt weiter meine Haare, er will mir zeigen, dass ich bei ihm in Sicherheit bin. »Alles gut! Alles ist gut!« Seine Hände streicheln meine Schultern, meine Brüste, er biegt meinen Oberkörper nach hinten auf die Tischplatte, während er mich immer noch streichelt, schiebt meine Unterhose nur so weit runter, dass ich meine Beine nicht bewegen kann. Ich spüre seine Zunge auf meiner Haut, auf der Innenseite meiner Schenkel, höher, sehr langsam, ich mache mich taub. Die Marmorplatte glüht direkt vor meinen Augen, sie blutet, sie schwimmt im Blut, es läuft die weißen Tischbeine hinunter, das Blut gerinnt zu Klumpen, verkrustet. Ich löse mich auf.
Irgendwann nachts wache ich in seinem Bett auf. Das Laken klebt von meinem Schweiß, ein fremder Geruch hängt in der Luft, ich ekle mich. Mein Vater schnarcht neben mir. Geräuschlos schleiche ich aus dem Zimmer, die Stufen in den Turm hinauf, ins Bad im nächsten Stockwerk. Ich setze mich in die leere Wanne und seife mich ein, bis ich bedeckt bin von der Schmiere. Dann reibe ich meine Haut, wasche mich, meinen Mund, auch innen, meine Brüste, den Bauch, vor allem zwischen den Schenkeln, bis ich brenne. Nichts darf zurückbleiben von ihm, an keiner Stelle! Das Wasser spült den Schmutz von mir ab, ich sehe meinen Vater im Abfluss verschwinden. Dann wickle ich den Stoff des Bademantels fest um meinen Körper, schlage die Teile weit übereinander, befestige den Gürtel wie ein Vorhängeschloss. Ich muss mich wieder zu ihm legen, sonst tobt er durchs Gemäuer, wenn er aufwacht. Auf dem Weg zurück komme ich am Kirchenschiff vorbei. Es reizt mich, einen Blick hinunterzuwerfen. Zuerst kann ich nichts erkennen, der Mond malt helle Flecken auf den Haufen, der sich unter mir türmt. Holzspeere ragen daraus hervor, die Leinwand von Kandelabern aufgespießt: Ein seltsam verrenktes Tier liegt halb auf den Steinfliesen, halb hängt es auf einer Barockbank. Es sind die Reste des Ölschinkens, der sich meiner erbarmt hat undabgestürzt ist: mit jenem Donnerschlag, der das Gemäuer zum Beben brachte. Befriedigt gehe ich zurück ins Schlafzimmer und lege mich auf die äußerste Kante des Bettes.
Am Morgen bringt mir die kleine schwarze Frau wie üblich Kaffee, Biskuits und Brötchen mit Butter ans Bett. Die italienische Butter mag ich nicht, sie schmeckt ranzig, nach Kuheuter. Danach bade ich mich wieder ausgiebig, vorausgesetzt mein Vater ist nicht in der Nähe. Ich zelebriere Badeorgien! Der Schaum wächst über meinen Kopf, ich verstecke mich in ihm, seife mich ein, wasche mich wieder und überall. Habe ich Glück, bin ich angezogen, wenn er kommt. Der Kleiderschrank ist so voll von meinen Kleidern, dass kein einziges
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