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Kindermund (German Edition)

Kindermund (German Edition)

Titel: Kindermund (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pola Kinski
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Wort. Zwischendurch versagt ihm die Stimme, dann klingt er ganz jämmerlich. Aber er fängt sich schnell wieder. Ich sehe seine verzerrte Fratze vor mir, Augen so groß wie Teller und Schaum vorm Riesenmaul.
    »Polaaaaaaaaaaaaaaaaaaa!!!!!!!!«
    Ich hechte in Richtung Telefon, krache gegen die Wand.
    »Ja?«
    »Hörst du mir überhaupt zu!«
    »Ja, ja, natürlich!«
    »Du gehst nie mehr allein aus dem Haus, hörst du! Hast du verstanden? Niemals!«
    »Ja!«, wimmere ich.
    Er ruft an, um mir zu befehlen, nach Rom zu kommen. Er fühle sich allein und habe unendliche Sehnsucht nach mir. Das Flugticket sei schon unterwegs! Ich knalle den Hörer auf die Gabel. Mein Onkel nimmt mich in den Arm undtröstet mich. »Ich will nicht! Ich will nicht! Ich fahre nicht zu ihm!«
    Zwei Tage später sitze ich im Flugzeug.
    Einige Monate sind vergangen, seit ich das letzte Mal in der Via Appia war. In der Ankunftshalle schaue ich mich nach meinem Vater um. Als er vor mir steht, erschrecke ich. Ein verknittertes Hemd hat sich auf seine Haut gelegt. Seit meinem letzten Besuch hat er sich in eine tausend Jahre alte Echse verwandelt. Sein Gesichtsausdruck ist leer, ohne Leben, keine Spur von Hoffnung. Mit angehaltenem Atem lasse ich sein Küssen und Schlecken über mich ergehen. Als er neben mir herläuft, fällt mir auf, dass ich größer bin als er. Ich richte mich auf und schaue ein bisschen von oben auf ihn runter, das gefällt mir. Er zieht komische Grimassen. Ständig versucht er, seine faltigen, schlabbrigen Lippen über die Zähne zu ziehen. Der Zahnarzt hat sie dieses Mal zu groß gemacht.
    »Wir müssen dir neue Kleider kaufen, unbedingt!«, schnarrt er. Seine Stimme klingt so komisch. Ich schau ihn an. Er ist mir fremd. Wie getrieben schleift er mich von Geschäft zu Geschäft. Das bin ich gewohnt. Aber diesmal ist es anders. Er saugt gierig an den Zigaretten, als wolle er sie auffressen. Sein Blick flackert unruhig, er nuschelt unverständliche Laute vor sich hin. »Kürzer! Kürzer! Noch kürzer!«, befiehlt er der Schneiderin, die die Säume absteckt. Sie schüttelt den Kopf. Auch mir gefällt es nicht. Im Spiegel sehe ich nur Beine, die in einem Stück Stoff enden, das kaum größer ist als ein Taschentuch. Wenn ich mich bewege, kann man zwischen meine Beine oder meinen Po sehen. Ich fühle mich nackt, schäme mich.
    In einem Miedergeschäft sucht er Schlüpfer für mich aus. Er greift in die Schubladen, ein Stofffetzen nach dem anderen segelt auf den Ladentisch. Zarte Gespinste aus Spitzen, Tüll, Rüschen und Bändchen wachsen zu einem Berg. Alle so winzig, dass sie eigentlich nichts bedecken können.
    Als wir in der Via Appia ankommen, ist der Himmel schon dunkelblau, fast schwarz. Aus allen Fenstern strahlt gelbes Licht. Es sieht gemütlich aus. Ich erinnere mich an meinen Adventskalender, der jedes Weihnachten derselbe war: Die Türchen wurden am 25. Dezember wieder zugedrückt, und ich habe sie im Jahr darauf wieder aufgemacht, eines an jedem Tag, und mich immer wieder aufs Neue gefreut, als wäre es zum ersten Mal. Bestimmt haben seine Angestellten alles so schön gemacht. Hoffentlich sind sie noch da. Bitte, lieber Gott, lass mich nicht allein mit ihm sein!
    Mein Vater schleppt alle Tüten ins Haus bis in sein Schlafzimmer. Ich rufe mehrmals »Hallo? Hallo?« – keine Antwort.
    »Die sind zum Glück schon verschwunden! Ich kann dieses Pack nicht dauernd um mich haben!«, beantwortet er meine Frage. »Püppchen, zieh die Schlüpfer an, alle! Ich will dich darin sehen!« Er kreist langsam mit den Hüften, macht vor, wie ich mich bewegen soll. Ich gehorche, mache, was er verlangt. Er setzt sich auf den Rand seines Bettes und betrachtet mich, während ich mich vor ihm drehe, mit nach oben gereckten Armen, den Po weit rausgestreckt. Sein Blick wandert meinen Körper entlang. Ich bin nackt bis auf den Hauch eines Schlüpfers. Jeden einzelnen lässt er sich von mir vorführen. Manchmal hakt er seinen Finger ins Gummiband, zieht mich zu sich ran, fasst mich an, kniet vor mir auf dem Boden. Während dieser nicht enden wollenden Modenschau erzählt er mir, was er die letzten Monate getrieben hat.
    Er habe sie sich alle ins Haus geholt: Models, zum Beispiel Loona, eine zwei Meter große Schwarze, Callgirls, Nutten, einige davon halbe Kinder. Alle habe er sie gefickt, alle. Eine blonde Engländerin habe ihn besonders geil gemacht, sie habe ihn an mich erinnert. Auch Drogensüchtige, Fixer haben sein Haus belagert. Er hat ihnen

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