Kindermund (German Edition)
würden den Bus irgendwie in die nächste Werkstatt bringen. Sie werden mich bei meinem Vater anrufen und mir sagen, wo sie mich auflesen werden. Zögernd gebe ich ihnen die Telefonnummer.
Kurze Zeit später stehe ich an der Autobahn in Hot Pants und geknoteter Bluse. Die Haare lasse ich offen. Mein letztes Geld steckt im Schaft meiner Stiefel. Die Beine tun mir weh, ich kann kaum stehen, weil die Absätze so hoch sind. Ich friere, bin müde und habe wahnsinnigen Hunger. Die Straße ist ziemlich leer. Nur vereinzelt quälen sich Autos durch den Morgen. Die Sonne rahmt die Hügel rosa, es sieht krank aus, wie Sonnenbrand. In spätestens zwei Stunden wird sie gnadenlos herunterstechen, weiß, grell, und alles verbrennen. Hoffentlich sitze ich dann schon in einem Auto.
Es dauert nicht lange, da rollt eine Mercedes-Limousine auf mich zu und bremst direkt vor mir ab. Das Fenster wird heruntergekurbelt, ein freundliches, sehr seriöses Männergesicht erscheint im Rahmen, fragt, wohin ich wolle. »Nach Rom!«, rufe ich. Das Männergesicht zeigt stolz sein blendendes Gebiss, das er wahrscheinlich regelmäßig vom Zahnarzt überholen lässt. »Da muss ich auch hin! Steig ein!« Er drückt die Tür auf, ich lasse mich neben ihn fallen.
»Ich bin Lorenzo!«, er lacht immer noch. Dabei bilden sich viele Falten um die Augen. Ich schätze ihn auf fünfzig, er trägt Hemd und Krawatte.
»Ich bin Geschäftsmann, besitze mehrere Boutiquen, verstreut in ganz Italien. Heute schaue ich in meinen Läden in Rom nach dem Rechten. Und du? Was machst du allein in Rom?«
»Ich bin nicht allein, ich fahre zu meinem Vater. Er lebt in Rom.«
»Aha!«
In meinem Augenwinkel bewegt sich etwas. Ich drehe mich um. Ein Jackett schwingt am Kleiderbügel. Er ist wirklich Geschäftsmann, ich bin beruhigt. Der Mann fragt mich, wie ich heiße, wie alt ich sei, woher ich komme. Ich antworte ihm und schaue ihn dabei von der Seite an. Seine Haare stehen hoch wie die Borsten eines Wildschweins. Ich sage ihm, wie froh ich sei, dass er mich mitgenommen hat.
»Ist doch klar!«
An der Ausfahrt Bologna lädt er mich zum Frühstück in eine Motta-Raststätte ein. Ich stopfe Croissants in mich rein, als hätte ich seit einer Woche nichts gegessen. Habe ich, glaube ich, auch nicht. Die letzten Tage waren so aufregend, ich habe es einfach vergessen.
Der Geschäftsmann entschuldigt sich, er müsse schnell noch seine Frau anrufen, und verschwindet Richtung Telefonzelle. Ich schaue aus dem Fenster und denke an meine Freunde, wo sie jetzt sind, ob sie eine Werkstatt gefunden haben, wie es ihnen geht. Die Sonne brennt durchs Glas, die Bluse klebt an mir.
»So, wir können wieder!«, scherzt mein Chauffeur und läuft voraus. Im Auto sagt er mir, dass er noch kurz in Bologna etwas abgeben müsse, dann würden wir sofort weiter nach Rom fahren.
Mir ist das völlig egal. Ich lehne mich zurück, schließe die Augen und versuche zu entspannen. Wir quälen uns durch den morgendlichen Berufsverkehr, in meinen Gedanken bin ich bereits in Rom. Plötzlich hält der Mann an und macht den Motor aus. Ich setze mich auf und schaue aus dem Fenster. Um mich herum nur Hauswände. Wir stehen in einem engen Hinterhof. Irritiert blicke ich den Mann an. Der wühlt in seiner Hosentasche, zerrt ein Bündel hervor, blättert es vor mir auf: Es sind Spielkarten, auf denen nackte Frauen in komischen Verrenkungen abgebildet sind. Die Karten zittern in seinen Händen. »Willst du mit mir duschen gehen, hierim Hotel? Ich will dich nackt fotografieren! Du kannst viel Geld verdienen!« Meine Finger tasten nach dem Türgriff, während ich den schwitzenden Kerl neben mir nicht aus den Augen lasse. Ich stoße die Tür auf, hechte aus dem Auto und stürze durch das eiserne Doppeltor, das sich gerade automatisch zu schließen beginnt. Ich renne, renne, ziellos, in irgendeine Richtung, ich weiß nicht wohin. Ich renne weiter, weiter, ich habe Angst, mich umzudrehen. Irgendwann winke ich einem Taxi und bitte den Fahrer, mich für meine letzten 1000,– Lire zur Mautstelle an der Autobahnauffahrt zu bringen.
Auf der Rückbank des Taxis fühle ich mich sicher, trotzdem drehe ich mich noch oft um. Der Fahrer schaltet die Uhr nicht ein. »Behalte dein Geld, es würde sowieso nicht reichen. Ich fahre dich umsonst zur Autobahn, beruhige dich, du zitterst ja!« Zum Glück fragt er nicht nach. Ich muss dieses Schwein anzeigen! An den Mautstellen habe ich immer Polizisten gesehen.
Als wir dort ankommen,
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