Kindermund (German Edition)
sich jetzt schmale Tischchen in verschiedenen Größen ineinander. Sie leisten einem strengen braunen Ledersofa Gesellschaft, daneben zwei Schrankkoffer. Sonst ist nichts im Raum, außer ein paar Lichtquellen. Japanisch, spartanisch, karg. Eine Wand besteht nur aus Glas. Dahinter macht sich eine Terrasse über den Dächern Roms breit. Bambusgräser wiegen sich, Rosen behaupten sich sehr rot, sehr dick dazwischen. Überall Rosen, wohin mein Blick fällt: draußen, drinnen Vasen voller Rosen. Schalen, in denen nur Köpfe schwimmen. Rosenblätter wie zufällig auf Tischchen und Boden geworfen. In Wirklichkeit ist jeder Zentimeter inszeniert. Im Bad warten lose drapierte Rosensträuße unter dem Spiegel am Waschbecken und an der Wanne auf das Verwelken. Ein süßlich modriger Duft macht mir das Atmen schwer, er widert mich an. Mein Vater führt mich ins Schlafzimmer. Ich bleibe an der Schwelle stehen: wie immer ein Meer aus Decken und Kissen, die sich zu Wellen formen, Spitzen klammern sich an Rüschen, alles Zeichen der Nacht. Ich will es mir nicht vorstellen.
Mein Vater schaut mich wieder so schwammig an, ich stapfe zurück in den neutralen Wohnraum. Wie bringe ich ihm bei, dass ich Geld brauche, sofort viel Geld, dass ich aber nicht bleiben, sondern morgen weiterziehen werde?
Er folgt mir, fällt breitbeinig aufs Sofa, ich setze mich ans andere Ende, die Füße nebeneinandergestellt, die Knie aneinandergepresst. Sein Blick ruht auf mir, ich werde nervös. Essensduft zieht durch den Raum. Geneviève kocht gut, ich rieche es. Ich bekomme schrecklichen Hunger, verdammt, es wird immer schwieriger, den Mund aufzumachen.
Schrilles Klingeln schneidet in die gespannte Stille. »Das ist für mich!«, schreie ich, stürze zum Telefon, ohne die Reaktion meines Vaters abzuwarten. Anscheinend überrumpelt ihn meine Bestimmtheit so sehr, dass er nicht fähig ist, mich daran zu hindern.
»Wir sind schon da! Es ist schnell gegangen in der Werkstatt, sie haben die Reifen provisorisch festgemacht. In Palermo müssen wir den Schaden richtig reparieren lassen. Wir warten an der Ausfahrt Rom Süd auf dich, hast du das Geld?«
»Ja, ja, natürlich!«, lüge ich, »wie, wo?« Die letzten Wörter bringe ich nur noch stammelnd hervor. Jetzt bleibt mir keine Zeit mehr, ich muss es ihm sagen. »Wer war das?!«, bellt er böse. Mein Kopf ist eine glühende Kugel, und ich friere.
»Babbo, ich muss sofort weg, nach Sizilien! Ich spiele dort Theater! Wir haben ein Gastspiel in Palermo. Aber ich komme auf dem Rückweg vorbei, ich verspreche es dir! Kannst du mir Geld geben, bitte, für Hotel, Essen, Eisenbahn, Schiff und so weiter? Und könntest du mich vielleicht bitte zur Autobahn bringen? Ich möchte lieber mit dir fahren als mit dem Taxi! Bitte! Dann können wir noch zusammen sein! Ich schwöre, ich komme in ein paar Tagen zu dir, solange du willst! Ich schwöre es!«
Mein Vater wirft die Mähne, fährt sich mit den Fingern durch die Haare. Sein Blick flattert, die Lippe zuckt, die Nasenflügel beben. Er zieht mehrmals die Lippen zurück, zeigt die zu großen Zähne – ich warte, dass er losbrüllt.
Da erhebt er sich müde, schlurft zu den Wandschränken, die Schubladen schnurren leise. Er kommt zurück, wirft mir einen seiner Cashmerepullover entgegen: »Zieh den an! So kannst du nicht rumlaufen! Jeder hält dich für eine Nutte! Außerdem ist es viel zu kalt!« Folgsam schlüpfe ich in den Pullover. Er ist weich und riecht gut. Aber er reicht kaum über den Po, da ich größer bin als mein Vater. Ich zerre daran, damit er es nicht bemerkt und böse wird. Das Blätternvon Papier hört sich gut an. Ein Haufen Geldscheine landet vor mir auf einem Tischchen. »Hier, Geld für dich! Aber du kommst zurück, hast du mich verstanden? Du kommst wieder!«
»Ich schwöre es!«
»Ich fahr dich.« Er verschwindet in der Küche, um Geneviève Bescheid zu sagen.
Mit der Routine eines Geldzählers greifen meine Hände nach den Scheinen, schieben sie zusammen und rollen sie zu einem Bündel, das ich tief in einen Stiefelschaft drücke. Dann laufe ich ihm in die Küche hinterher und umarme meine Stiefmutter, um meinen Vater bei Laune zu halten. »Ciao, bis bald!«
Auf der Fahrt zur Autobahn mault er, wie unerträglich ihm der Gedanke sei, dass ich mit Leuten zusammen in einem Bus reise. Sein ganzes Leben habe er das verabscheut, den Mief von ungelüfteten Räumen, Zelten, Jugendherbergen, habe Rucksäcke gehasst. Den Gestank nach Fußschweiß und
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