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Kinderstation

Kinderstation

Titel: Kinderstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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deine berühmte Haltung, Hans! Erpressung! Wir lassen den Kerl einsperren! Du kennst den Lumpen?«
    »Ja. Ein ehemaliger Krankenpfleger aus meiner Klinik.«
    Dr. Allach schob die Unterlippe vor. Plötzlich sah er die Situation anders. In einer Klinik passiert vieles hinter verschlossenen Türen, bleibt manches Geheimnis einer kleinen Gruppe, wird einiges verschwiegen oder erlogen. Aus solchen Kleinigkeiten aber können Tragödien werden … eine falsche Diagnose, die tödlich wurde, eine verkehrte Behandlung, die Komplikationen auslöste, ein Nichterkennen einer Krankheit, ein falsches Medikament … es sind hunderterlei Dinge, die geschehen können, weil auch der berühmteste Arzt nur ein Mensch ist und daher nicht unfehlbar und allwissend. Aufgeblasen aber, sensationsumkleidet kann so eine Kleinigkeit den Ruf eines Mannes wie Karchow anknacken, vor allem, wenn ein Mann so sehr von den minder erfolgreichen Kollegen gehaßt wird wie Karchow. Es war bekannt, daß mindestens sieben Professoren auf den freien Stuhl Karchows warteten und sich ärgerten, daß der ›König von Bethlehem‹ sich einer so eisernen Gesundheit erfreute.
    »Ist irgend etwas Außergewöhnliches passiert?« fragte Allach vorsichtig. Professor Karchow nickte schwer.
    »Was heißt außergewöhnlich? Zwei Kinder starben –«
    »Mein Gott! In einem Krankenhaus mit vierhundert Betten kommt so etwas ja vor.«
    »Natürlich. Jeden Tag stirbt bei uns ein Kind. Oft weiß man das im voraus, schon bei der Einlieferung. Aber diesen beiden Fällen war es nicht anzusehen.«
    Dr. Allach stand nun doch auf, ging zum Bücherschrank, holte die Kognakflasche aus dem Barfach und zwei Gläser. Karchow winkte ab.
    »Ich nicht. Danke.«
    Der Staatsanwalt goß sein Glas randvoll und sah in die goldgelbe Flüssigkeit. Zwei Todesfälle, die ungewöhnlich sind. Die Sache kann ernst werden.
    »War … waren es zwei Kunstfehler von dir?« fragte Allach stockend. Er hatte wirklich Hemmungen, seinen Freund danach zu fragen. Karchow schüttelte wieder den Kopf.
    »Kunstfehler, wie man so schön bei uns sagt, nicht … es war Unwissenheit.«
    »Aber Hans!« Allach setzte das Glas mit dem Kognak erschrocken ab. »Wie kannst du so etwas sagen?!«
    »Weil es wahr ist.« Professor Karchow nahm die Goldbrille ab, putzte sie mit der Krawatte und setzte sie wieder auf. »Zweimal der gleiche Fall, in Abständen von drei Monaten. Einmal ein Junge, das andere Mal ein Mädchen. Soviel ich mich erinnere, neun und zwölf Jahre alt. Beide waren in einen Verkehrsunfall verwickelt, beide hatten eine Milzruptur. –«
    »Eine Bitte vorweg, Hans.« Dr. Allach hob die Hand. »Ich bin ein saudummer Staatsanwalt. Wenn du in deiner medizinischen Terminologie bleibst, verstehe ich kein Wort.«
    Professor Karchow lächelte schwach. »Ich weiß, in Latein warst du immer eine Flasche. Also – beide Kinder hatten eine Zerreißung der Milz. Da hilft nur eines: eine Exstirpation – Verzeihung –, eine operative Entfernung der Milz. Es führt zu weit, dir jetzt zu erklären, daß die Milz ein ungeheuer wichtiges Körperorgan ist, das Lymphozyten erzeugt, den Zerfall der Erythrozyten regelt, kurzum: Die Milz ist für den Bluthaushalt fast unentbehrlich. Hier aber ging es nicht anders … die Milz war zerrissen, sie mußte raus!«
    »Das ist doch kein besonderer Fall, denke ich.«
    »Natürlich nicht. Die Kinder überlebten den Eingriff blendend, nach fünf Tagen waren sie völlig fieberfrei, ab dem siebenten Tag bekamen sie normale Kost, sie waren fröhlich, die Eltern bedankten sich bei mir als den Lebensretter ihrer Kinder … am achten Tag plötzlich, während der Visite sogar, wurden sie blaß, verloren in Sekundenschnelle das Bewußtsein, schlagartig setzte hohes Fieber ein, wir pumpten Penicillin in die kleinen Körper, soviel zu verantworten war … es half nichts. In der Nacht starben sie. Beim erstenmal, bei dem Jungen, standen wir vor einem Rätsel. Ich holte Professor Darbeck von der Pathologie herüber und auch Professor Vennomann von der Chirurgie – obgleich Vennomann mich einmal sehr beleidigt hatte. Aber auch sie wußten keine Erklärung. Bei der Sektion des Jungen erkannten wir dann die Todesursache. Es war eine Mediastinitis, eine Infektion des Mittelfells. Und das war ein neues Rätsel! Bei dem kleinen Mädchen befiel mich sogleich die Angst in Erinnerung an den Jungen … wir taten prophylaktisch alles, was nur zu tun ist … und wieder das gleiche: Mittelfellinfektion und Exitus.

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