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Kinderstation

Kinderstation

Titel: Kinderstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Mark am Tag einzunehmen. Für ihn, den kleinen Gärtner, der in der Lohnliste des Industriekonzerns nur eine mehrstellige Nummer ist und den niemand vermissen würde, wenn ihn der Schlag träfe, war dieses Angebot wie der Zipfel eines Zaubertuches, das nach einem Märchentraum in seinen Händen blieb. Wer kann es ihm verübeln, daß er durchdrehte?
    »Mindestens ein Jahr wird es noch dauern, bis wir überhaupt wissen, ob die Kinder trennbar sind. Ich sage das Ihnen jetzt in aller Deutlichkeit, damit Sie keine weiteren Dummheiten machen.«
    Philipp Lehmmacher räusperte sich. »Ein Jahr?« Er hob die Schultern. »Der Herr Professor sagte mir beim letzten Besuch, daß es schneller gehe. Was ist nun richtig?«
    Oberarzt Dr. Julius schluckte den Ärger, der in ihm aufquoll, hinunter. »Warten wir es ab«, antwortete er steif. »Im übrigen wäre es vielleicht wirklich besser, wenn Sie diese Dinge mit dem Chef besprechen –«
    Mir schieben sie den Schwarzen Peter nicht zu, dachte er, als er später in sein Zimmer ging, um sich umzukleiden. Karchow will den Ruhm – das ist sein gutes Recht, er ist der Chef der Klinik … aber operieren werde ich, und geht es schief, halte ich den Kopf dafür hin. Ich ganz allein.
    Zum erstenmal lag zwischen Prof. Karchow und Oberarzt Dr. Julius eine Krise in der Luft.
    Abgesehen von einigen bösen Unfallverletzten, zwei Zyanosen und einer Lungenembolie, was Prof. Karchow zu dem intimen Ausruf anregte: »Julius, Sie sind ein Teufelskerl! Aber nehmen Sie diese Erkenntnis nicht als Leiter, in den Himmel zu steigen«, flossen die Wochen eintönig hin.
    Ein Außenstehender sieht im Betrieb einer großen Klinik immer den Schauplatz von Sensationen. Wenn er das Schild ›Operationsabteilung. Eintritt verboten!‹ an der Milchglastür liest, läuft ihm ein Schauer über den Rücken. Dort wird um das Leben gerungen, denkt er dann. Dort vollbringen die Männer im weißen Kittel ihre einmaligen Taten. Dort werden neue Möglichkeiten geboren, Menschen zu retten. Dort manifestiert sich das Genie des Arztes. Geheimnisse und Unbegreiflichkeiten wehen ihn an, er wird ganz klein und schüchtern und denkt an die vielen Berichte, die er schon gelesen hat … Herz-Lungen-Maschine, künstliche Niere, Herzklappen aus Plastik, Arterien aus Kunststoff, Unterkühlnarkose, Klimakammern, Sauerbruch und Mayo-Klinik, großer Blutaustausch und Elektrochirurgie … und er betrachtet die Ärzte, die durch die weißen Milchglastüren gehen, wie Götter. In ihren Händen liegt das Leben –
    In Wahrheit ist der Alltagsbetrieb einer Klinik so nüchtern wie die Dienstzeit eines Finanzamtes oder die Bürostunden bei Sepplhuber & Co. Alles geht nach Plan, Fiebermessen, Stuhlgang und Bettenaufschütteln, womit meistens der Tag beginnt. Die Neuaufnahmen werden untersucht, die Gesunden entlassen, die Sterbenden dem Gebet überlassen, es gibt Visiten, die Operationstage, die Sprechstunden für die Eltern, es wird geröntgt und klistiert, injiziert und Tabletten geschluckt, gewickelt und verbunden, gesalbt und gepudert. Tagaus, tagein, in über hundert Zimmern, in vierhundert Bettchen mit vierhundert schreienden quäkenden, greinenden, lachenden, lallenden, seufzenden, stöhnenden, zitternden Mündchen. Ein Fließband von Hygiene und Hilfe, eine sterile Werkstatt des Lebens mit einigen Vorarbeitern und einem Meister und einem Chef, der ab und zu sagt: »Es fasziniert mich immer wieder, seit über vierzig Jahren nun schon, daß aus einem solchen schreienden, hilflosen Menschenwurm ein Einstein oder ein Albert Schweitzer entstanden ist.«
    Karin Degen hatte sich krank gemeldet und war in die Schweiz gefahren, um dort einen Arzt zu finden, der für viel Geld in ihr Schicksal eingreifen würde. Sie suchte vergebens, fuhr weiter nach Italien und sogar nach Jugoslawien, aber die einzigen, die bereit waren, den Eingriff zu unternehmen, waren zweifelhafte Frauen mit noch zweifelhafteren Instrumenten, die meistens nur aus verschieden langen, zugespitzten Sonden bestanden.
    Schaudernd fuhr Karin wieder nach Deutschland. Im Schwesternunterricht hatte sie an Schaubildern gezeigt bekommen, welche Verletzungen durch solche Eingriffe entstehen konnten. Der Tod durch eine Sepsis war dabei noch das geringste Übel – er befreite ja. Schlimmer waren die dauernden Schäden, das lebenslange Siechtum, die zurückbleiben konnten.
    So gab es für Karin Degen keine andere Wahl, als das Kind Dr. Petschawars auszutragen. Nach ihrer Rundreise war sie

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