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Kinderstation

Kinderstation

Titel: Kinderstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Seiten des Chefs. Warum – das ist nie erklärbar, das ist Tradition des deutschen akademischen Geistes. In einem Krankenhaus von Boston kann ein Assistenzarzt sagen: »Chef, Sie irren sich bei Ihrer Diagnose« – in Deutschland fliegt er mit hellen Entrüstungsschreien hinaus.
    Eigentlich ist das Mittelalter in Mitteleuropa noch nicht vorüber –
    Die Kündigung war von Seiten Dr. Petschawars völlig formlos erfolgt. Er hatte nach einer Visite sich bei Prof. Karchow melden lassen und in seiner ruhigen Art gesagt:
    »Herr Professor – am nächsten Samstag ich hören auf.«
    »Wie bitte?« hatte Karchow geantwortet und seine Goldbrille abgenommen.
    »Mein Flugzeug geht am Sonntagmorgen nach Kalkutta.«
    »Ach nee! Mein Flugzeug geht! Sagen Sie mal, Dr. Petschawar, seit wann leiden Sie an Schizophrenie? Wenn ich Sie richtig verstehe, wollen Sie so mir nichts, dir nichts am Sonntag absegeln in Richtung Heimat. Für immer.«
    »Ja, Herr Professor.«
    »Und warum, wenn es erlaubt ist, noch diese frivole Frage zu stellen?«
    »Ich habe Heimweh.«
    »Heimweh.« Karchow warf sich die Brille auf die Nase. Das war ein Kunststück, das ihm keiner nachmachen konnte. Man hatte es bei den Assistenzärzten wochenlang geübt. »Sie rufen nach Papa und Mama was?«
    »Ich sein Waise, Herr Professor.«
    Karchow sprang auf. »Lassen Sie doch die dummen Reden, Dr. Petschawar! Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Sie einen Anstellungsvertrag haben. Auf drei Jahre. In Deutschland werden Verträge erfüllt … wie das woanders ist, weiß ich nicht, interessiert mich auch nicht. Aus einem so eingespielten Klinikbetrieb wie ›Bethlehem‹, wo einer auf den anderen angewiesen ist, wo jeder ein Rädchen in der großen, reibungslos laufenden Maschine ist, vom Putzmädchen bis zum Professor, vom Pinkellaboranten bis zum Oberarzt, kann nicht einfach einer ausscheren und sagen: Ich gehe! Was denken Sie sich eigentlich dabei?«
    »Nichts, Herr Professor.«
    »Diesen Eindruck habe ich auch.«
    Prof. Karchow sah den indischen Arzt aus glitzernden Augen an. »Ich nehme die Kündigung nicht an.«
    »Mein Flug ist bereits gebucht.«
    »Dann buchen Sie wieder aus, in Teufels Namen!«
    »Ich habe auch das Zimmer gekündigt.«
    »Dann schlafen Sie im Wachraum, bis Sie ein neues haben. Dort steht ein weiches Bett! Im Busch schlafen Sie auf 'ner Matte.«
    Das schöne, ebenmäßige Gesicht Dr. Sandrus wurde hart. Über die großen, etwas mandelförmigen, schwarzen Augen zog ein Schleier.
    »Sie können eine Klage beim indischen Gesundheitsministerium einreichen, das mich vermittelt hat –«, sagte er leise. »Ich fliege am Sonntag zurück in meine Heimat, und ich bin glücklich darüber.«
    »Wie herrlich Sie sprechen können!« schrie Prof. Karchow.
    »Ich haben geübt diesen einen Satz eine Woche lang. Guten Tag!«
    Petschawar wandte sich ab. Prof. Karchow hieb mit der Faust auf den Tisch. Ein Packen Röntgenplatten dämpfte den Schlag.
    »Halt!«
    »Bitte, Herr Professor?« Petschawar drehte sich um.
    »Ihr Benehmen ist skandalös!« schrie Karchow hochrot.
    »Laute Stimmen sind nicht überzeugend. Ich mich nicht wohl fühlen hier. Europa gut zu lernen und hat alten, guten Ruf … aber nix Herz und Seele. Europa ist altes, krankes, aber kluges Mann –«
    Sprachlos ließ Prof. Karchow den indischen Arzt gehen. Am nächsten Morgen schon kam Dr. Sandru nicht mehr zum Dienst. Karchow verzichtete darauf, nachzuforschen, was los sei. Er holte sich aus der Universitätsklinik einen jungen Arzt und übergab ihm die Station Dr. Petschawars. Da der Inder auch die Inkubatoren mit den Vierlingen betreute, wurden diese verlegt und kamen zu Dr. Wollenreiter.
    »Sagen Sie mal, Wollenreiter –«, sprach Prof. Karchow den seit einigen Wochen etwas bedrückten Stationsarzt an. Auf dem Jugendamt hatte Wollenreiter erfahren, daß in etwa zwei Monaten das Kind zur Adoption freigegeben werden könnte. Ganz klar hatte man ihm gesagt, daß nur ein Ehepaar in Frage käme, das nachweislich keine eigenen Kinder bekommen könne. »Ich kann mich doch, um Maria Ignotus zu adoptieren, nicht kastrieren lassen!« hatte Wollenreiter gebrüllt. Die Beamten fanden das sehr unpassend und der Würde einer Behörde abträglich und behandelten Wollenreiter wie dicke Luft. Sie wedelten ihn hinaus.
    »Sie haben doch eine Fachausbildung als Chirurg durchgemacht?« fragte ihn jetzt Prof. Karchow. Wollenreiter ahnte Komplikationen und schüttelte den Kopf.
    »Angefangen, Herr Professor. Ich

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