Kinderstation
etwas Endgültiges. Auch in seinen Küssen.
Von da an liebte sie ihn wirklich. Es war schon jetzt, vor ihrer Ehe, die Liebe einer inneren Reife, eine ausgeglichene Liebe, die nur – in der ganzen Zeit – zweimal aufwallte und vulkanisch wurde. In jenen zwei Nächten, in denen sie sich gehörten. Da brachen alle Dämme, da waren sie nur noch Natur. Die Morgen, die diesen Nächten folgten, waren fahl und wieder nüchtern. Sie kochte Kaffee in der Kochnische ihrer kleinen Appartementwohnung, schmierte ihm die Brötchen, goß den Kaffee ein und band ihm den Schlipsknoten. Ein uraltes Ehepaar, dachte sie. Wir kennen uns schon hundert Jahre. Wir haben schon immer zusammengehört.
Nun war es plötzlich anders. Lisa Heintel war gekommen, das rehhafte, grünäugige Geschöpf einer modernen Welt, ein Schmetterling aus dem Zaubergarten der Jugend, ein schillernder Falter aus dem Liebesparadies. Raffiniert trug sie ihren weißen Kittel, über der Brust zu eng, in der Taille eingeschnürt durch einen Gürtel, um die Hüften gelegt wie eine zweite Haut. Ein aufreizender Körper. Ein Mann, der das nicht bemerkte, mußte blind sein. Selbst Dr. Wollenreiter, sonst sarkastisch gegenüber Frauen, bekam beim Anblick Lisa Heintels glänzende Augen, kontrollierte Schlips und Frisur. Die Schwesternschaft der Klinik begann, Lisa zu hassen. Allein schon dies bewies, welche Ausstrahlung sie auf Männer besaß.
Und ausgerechnet Oberarzt Dr. Julius sollte die Stärke besitzen, diesem Charme der Natur nicht zu erliegen? Renate Vosshardt hielt es für unmöglich, weil es einfach unlogisch war.
Sie schrak aus ihren Gedanken auf. Julius sprach.
»Wenn es dich beruhigt … Fräulein Lisa ist in einen jungen Architekten verliebt.«
»Ach, das weißt du auch? Ich denke, eure Gespräche sind nur fachlicher Natur?«
»Bitte, werde nicht unsachlich, Renate.« Dr. Julius trank sein Glas Tee aus. »Wenn man zusammen stundenlang bastelt, spricht man auch über persönliche Dinge, das ist doch selbstverständlich.«
»Basteln … das hast du gut gesagt«, zischte Renate giftig.
Wortlos erhob sich Dr. Julius und ließ Renate sitzen. Er verließ das Kasino, ohne sich umzudrehen. Dr. Vosshardt biß die Zähne zusammen. Wie eine dumme Göre behandelt er mich! Wie ein hergelaufenes Ding! Man sollte dieser Lisa die Augen zerkratzen. Man sollte ihr Gift in den Kaffee tun! Oh, wie ich das Biest hasse.
Sie ballte die Fäuste unter dem Tisch und blieb sitzen. Sie wußte, daß ihre Beine vor Wut zitterten.
Jetzt geht er wieder zu ihr, dachte sie. Und sie schüttelt die rostbraunen Haare, blitzt ihn aus ihren Schlangenaugen an und wiegt ihren Busen vor ihm wie Orangen im Wind.
Man sollte sie zerreißen!
An diesem Tag zerbrach ihre Heiratsabsicht.
Mit einem Ruck riß Renate wieder die Tür der ›Bastelstube‹ auf und trat ein. Dr. Julius und Lisa Heintel saßen sich gegenüber, Knie an Knie, und Julius legte das Modell des neuen Stillegungsgerätes um ihren entblößten Unterarm. Sie lachte dabei und sagte gerade in dem Moment, als Renate eintrat:
»Das kitzelt aber, Herr Oberarzt.«
Und Dr. Julius lachte (Oh, so hat er bei mir nie gelacht, durchfuhr es Renate), und er antwortete:
»Alles, was kitzelt, tut gut –«
»Lassen Sie sich das mal näher erklären, Fräulein Heintel!« fuhr Renate Vosshardt dazwischen. »Oberarzt Dr. Julius kann bestimmt viele Varianten des Kitzelns erklären –«
Langsam, mit ernster Miene zog Dr. Julius das Gerät vom Arm Lisa Heintels zurück.
»Bitte, verlaß sofort das Zimmer –«, sagte er dabei völlig ruhig.
In Renate setzte der Herzschlag aus. Ihr Gesicht wurde bleich vor Erschrecken. Sie spürte, wie das Blut aus ihren Lippen wich, wie spröde sie wurden, als würden sie aufplatzen.
»Bitte!« sagte sie heiser. »Ich warte vor der Tür auf dich –«
Sie rannte aus der ›Bastelstube‹ und knallte hinter sich die Tür zu. Lisa Heintel sah mit grünschillernden Augen verträumt und rührend kindlich zu Dr. Julius.
»Was hat das Fräulein Doktor? Sie ist in letzter Zeit so nervös und reizbar? Ich glaube, sie hat etwas gegen mich –«
»Das werden wir gleich klären.« Dr. Julius verließ den Raum, wütend und gleichzeitig beschämt, daß sich so etwas um seine Person abspielen konnte. Der Vorfall würde in der Klinik von Mund zu Mund gehen, und es war zu erwarten, daß Professor Karchow in kurzer Zeit eine seiner sauren Bemerkungen abschoß.
Vor der Tür, im Flur, stand Renate Vosshardt an der Wand.
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