Kinderstation
eigene Mutter hat es aus dem Bett gestohlen! Und sie hat es vorher sogar besichtigt, und wir – Sie und ich – haben sie sogar herumgeführt!«
»Unmöglich!«
»Erinnern Sie sich! Vater und Tochter, die Maria adoptieren wollten –«
»Dieser Buchhalter aus dem Steuerbüro –«, sagte Dr. Julius gedehnt.
»Genau der! Mutter und Großvater waren das! Jetzt heißt sie Höllerer, und ich fresse mich selbst, wenn dieser Höllerer nicht der legitime Vater von Maria ist! Ein Kidnapper-Familienunternehmen!« Dr. Wollenreiter stampfte zur Tür. »Kommen Sie mit … sehen Sie sich das an!«
Zwei Stunden später, nachdem auch Prof. Karchow am Bettchen von Zimmer 2/IIa gestanden hatte, wußte man es ganz sicher: Maria Höllerer war Maria Ignotus!
Wollenreiter war nicht mehr ansprechbar.
Er hatte ›sein‹ Kind wieder.
Anders reagierten Prof. Karchow und Oberarzt Dr. Julius.
»Wollenreiter –«, sagten sie streng. »Über diesen Vorfall halten Sie den Mund! Wir können jetzt solche Sensationen nicht gebrauchen, wo wir vor der Siamesentrennung stehen. Die ganze Sache bleibt unter uns. Wir werden diese Frau Julia Höllerer ins Haus bestellen und uns anhören, was sie zu sagen hat. Es wird sich alles regeln lassen.«
»Auch Staatsanwalt Dr. Allach wird nichts erfahren. Vorläufig nicht«, fügte Karchow hinzu. Wollenreiter nickte schwach.
»Die Hauptsache ist ja, daß sie wieder hier ist –«
»Ich glaube, Sie sehen die ganze Sache falsch!« Dr. Julius faßte Wollenreiter unter und zog ihn hinaus auf den Flur. »Das Kind hat Eltern.«
»Die es ausgesetzt haben!«
»Und wiedergeholt haben.«
»Ja, zum Teufel noch mal, ist ein Kind denn ein Skatspiel? Mal gibst du, mal gebe ich …« Wollenreiter riß sich von Dr. Julius los. »Das letzte Wort habe ich noch nicht gesprochen!«
»Es wird ein Ja zu allem sein, was kommt.« Julius lächelte und klopfte Wollenreiter auf die Schulter. »Nun seien Sie mal friedlich, wir hören uns erst die Eltern an. Wie ich Sie kenne, wird Ihre empfindsame Seele zucken, wenn Sie die volle Wahrheit wissen.«
Mit dem hellbraunen statt schwarzen Roland Honnemann war es ungleich schwieriger, hinter das Geheimnis zu kommen. Um es gleich zu sagen: Man kam nicht dahinter.
Prof. Karchow bemühte sich selbst um dieses Rätsel einer Fehlpigmentierung, wie er es diagnostizierte. Er untersuchte den kleinen, strammen Roland, stellte keinerlei negroide Züge fest und sagte in seiner spöttischen Art: »Wenn ich nicht genau wüßte, daß Mutter Honnemann niemals Dr. Petschawar gekannt hat, würde ich sagen: Hier wächst ein Inder heran!« Niemand ahnte, wie nah er der Wahrheit war. Man lachte laut bei diesem absurden Gedanken.
Immerhin regte dieser Fall Prof. Karchow an, alle erreichbare Literatur über Pigmente und ihre Störungen zu studieren. Aber nirgendwo fand er Hinweise dafür, daß ein farbiges Kind, vor allem aber ein Negerkind, im Mischlingsstadium 1. Grades plötzlich die Farbe verliert und hellhäutig wird.
Eine Zeitlang beschäftigte sich Karchow mit dem Gedanken, darüber in der Zeitschrift ›Kinderklinik‹ einen Artikel zu schreiben. Aber dann verschob er es. Erst die Trennung der Siamesen! Das war das Wichtigste. Ihm gegenüber hatte alles andere zurückzustehen.
Roland Honnemann wurde wieder entlassen mit dem Bemerken, man solle ihn in etwa sechs Wochen wieder nach ›Bethlehem‹ bringen. »Krank ist er nicht«, sagte Dr. Renate Vosshardt, die Fräulein Honnemann ihr Wunderkind übergab. »Jedenfalls ist es nichts Ansteckendes oder Gefährliches. Es kommt schon mal vor, daß sich die Hautfarbe etwas verschiebt.«
»Aber ich habe eine Bekannte, die hat auch ein Baby von einem Negersoldaten. Das ist fast schwarz«, sagte Fräulein Honnemann verzweifelt. Und Renate antwortete, was schon Mutter Witwe Honnemann zu ihrer Tochter gesagt hatte:
»Ich würde das als eine gute Fügung hinnehmen –«
Fräulein Honnemann nahm ihren Roland und verließ die Klinik. Konnte denn niemand verstehen, daß ihr das Kind unheimlich wurde? Wenn aus einem Hühnerei ein Hund schlüpfen würde, wäre die ganze Welt verrückt vor Staunen, dachte sie bitter. Aber bei einem Menschen nimmt man es hin –
Es ist eine komische Welt, in der wir leben!
Julia Höllerer und Franz wurden von der Stationsschwester zum Fahrstuhl geführt und eine Etage höher gefahren, als sie am nächsten Tag sich nach dem Befinden ihrer Tochter Maria erkundigten. Gleich bei ihrem Eintreffen hatte Schwester Berta den
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