Kinderstation
zurückgebracht worden. Das wird der Polizei gemeldet, dem Jugendamt, den anderen zuständigen Behörden. Und wir, die Klinik, schreiben Ihnen, Frau Höllerer, offiziell einen Brief, daß das Kind, das Sie einmal adoptieren wollten und in der Zwischenzeit gestohlen wurde, wieder verfügbar ist – ein schönes, deutsches Beamtenwort, nicht wahr? – und wir die Adoption nun beim Jugendamt befürworten. Der Einfluß des Herrn Professors wird es möglich machen, daß Sie Maria schnell wiederbekommen … allerdings dann als Adoptiveltern. Im Grunde ist das ja gleich –«
Julia nickte. Sie hatte nur die Hälfte verstanden. Ich werde Maria nicht verlieren, das war alles, was sie begriff. Ich werde nicht verhaftet werden. Unsere Familie wird zusammenbleiben … Franz, Maria und ich. Für immer zusammenbleiben.
Sie nahm plötzlich die Hand Dr. Julius', und ehe er es verhindern oder sie wegziehen konnte, hatte sie sich darüber gebeugt und sie geküßt. Wie ein Sklave, dem man die Freiheit geschenkt hat. Dr. Julius war betroffen und wurde rot.
»Aber ich bitte Sie, Frau Höllerer –«, stotterte er.
»Es ist, als habe ich Maria jetzt zum zweitenmal geboren«, sagte Julia glücklich. »Immer war der Druck in uns: Was geschieht, wenn es doch einmal herauskommt? Wir haben doch keinerlei Papiere für Maria, und wir haben immer darüber gegrübelt, wie es einmal werden wird, wenn sie größer ist … wenn sie in die Schule kommt, wenn sie ihren Geburtsschein vorlegen muß … Abwarten, haben wir immer gesagt. Auch dafür wird es eine Lösung geben. Bis dahin vergehen ja noch fünf Jahre. Wer weiß, was in fünf Jahren ist … Wir haben einfach den Kopf in den Sand gesteckt.« Sie lächelte auf einmal und sah Franz mit tränennassen, aber strahlenden Augen an. »Das ist nun alles vorbei! Wir werden eine richtige, normale Familie sein … mit allen Papieren …«
Franz Höllerer nickte mehrmals. Dann wandte er sich an Prof. Karchow.
»Und wenn das Jugendamt der Adoption nicht zustimmt?« fragte er.
»Warum sollte es das nicht?« fragte Karchow zurück.
»Wer kennt die Gedankengänge der Beamten? Wenn nun andere Bewerber vorliegen, reichere, bessergestellte, so mit Villa und allem Drum und Dran. Es ist doch klar, daß solche Adoptionseltern vorgezogen werden.« In Höllerers Brust entstand plötzlich ein riesengroßer, zentnerschwerer Stein, der auf das Herz drückte. »Können … können Sie garantieren, daß das Jugendamt uns Maria übergibt?«
»Garantieren? Natürlich nicht«, antwortete Prof. Karchow ehrlich.
»Aha! Und was dann?« Höllerer verkrampfte die Finger ineinander. »Dann bekommt jemand anders unsere Maria, unser Kind. Und wir dürfen noch nicht einmal die Wahrheit sagen, denn dann sperrt man uns ein. Das geht doch nicht, Herr Professor.«
»Am besten ist, Sie klauen es zum zweitenmal«, sagte Dr. Wollenreiter gehässig. »Aber dieses Mal lasse ich das Fenster offen, damit die Klinik keine Sonderausgaben für neue Fenster hat!«
Prof. Karchow sah Wollenreiter wieder strafend an. Aber das war nur eine Reaktion, weil ein Assistenzarzt ungefragt an einem Gespräch teilnahm. »Kein schlechter Gedanke –«, sagte er gedehnt. »Wenn das Jugendamt nein sagt, holen Sie Maria –«
»Und alles geht wieder von vorne los! Nein!« Dr. Julius erhob sich aus dem Ledersofa und zog Julia mit. »Wir müssen allen Einfluß geltend machen, daß das Ehepaar Höllerer das Findelkind Maria Ignotus bekommt. Herr Professor, Herr Dr. Wollenreiter – hier steht die Mutter des Kindes. Das allein sollte uns anspornen, trotz allem, was gewesen ist, für die Gerechtigkeit einzustehen. Alles andere hat davor zurückzutreten. Lassen Sie uns sofort die Aktion beginnen. Es wird, da es sich um einen Behördenweg handelt, doch einige Wochen dauern, bis man klar sieht und das Leben der Familie Höllerer normalisiert ist.« Er wandte sich an Julia und strich ihr mit einer fast väterlichen Geste eine Haarsträhne aus der Stirn. »Mit sechs oder acht Wochen müssen wir rechnen, Frau Höllerer.«
Julia nickte. »Und wenn es ein halbes Jahr dauert, Herr Doktor … was spielt die Zeit für eine Rolle, wenn ich weiß, daß ich Maria dann für immer bei mir habe –«
»Ich glaube, wir bleiben die ewigen Verlobten«, sagte Renate Vosshardt. »Wir haben einfach keine Zeit zum Heiraten. Ein Wunder, daß uns die paar Stunden bleiben, uns zu lieben.«
Sie lagen nebeneinander am Rande eines lichten Waldes. Das Gras war hoch und hart, sie hatten
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