Kinderstation
Besuch beim Chef gemeldet, und Karchow rief Wollenreiter und Dr. Julius zu sich.
»Sie sind da«, sagte er wie ein Feldherr, der den Feind auf das Schlachtfeld marschieren sieht und nun seine eigenen Truppen bereitstellt. »Wollenreiter, ich ermahne Sie im voraus: Benehmen Sie sich wie ein vernünftiger Mensch! Ihre Position ist ungleich besser als die der Eltern! Vergessen Sie das nicht!« Karchow griff zum Telefon und ließ sich mit der Station IIa verbinden. »Schwester Berta, bringen Sie die Eltern Höllerer.«
Julia erkannte sofort die Tür des Chefzimmers wieder, zu der sie von Schwester Berta geführt wurde. Sie blieb ruckartig stehen.
»Was sollen wir bei dem Herrn Professor?« fragte sie.
»Der Chef möchte Sie gerne sprechen …«
»Ist … ist Maria etwas kranker, als wir denken?« stotterte Franz Höllerer.
»Ich weiß es nicht«, wich Schwester Berta aus. »Der Herr Professor hat mich nur gebeten, Sie zu ihm zu bringen. Mehr kann ich Ihnen auch nicht sagen.«
Sie klopfte. Von innen ertönte Karchows Stimme.
»Herein!«
Die Tür öffnete sich. Franz Höllerer drehte seinen Hut in den Händen. Julias Beine zitterten. Sie sah in dem großen Zimmer nicht nur den Professor, sondern auch den Oberarzt und neben ihm das düstere Gesicht von Dr. Wollenreiter. Und sie wußte plötzlich alles.
Sie tastete nach der Hand ihres Mannes, drückte sie und hielt sie fest.
»Komm –«, sagte sie leise, mit schwankender Stimme. »Wir müssen ganz mutig sein. Es geht wirklich um unsere Maria –«
Hand in Hand betraten sie das Zimmer Prof. Karchows.
Oberarzt Dr. Julius übernahm es, die wie mit Elektrizität aufgeladene Spannung zu lösen, indem er mit einer kleinen Verneigung zu Julia sagte:
»Frau Höllerer?«
»Ja –«, antwortete Julia leise. Sie sah dabei weder Professor Karchow noch Dr. Julius an, ihr Blick hing an Dr. Wollenreiter. Von ihm kam die Gefahr, das spürte sie, das wußte sie.
»Ist … ist etwas mit unserer Maria?« fragte Franz Höllerer laut.
»Das kann man wohl sagen!« erwiderte Dr. Wollenreiter. Er handelte sich einen strafenden Blick seines Chefs ein, aber er sprach ungerührt weiter. »Es sind da einige Unklarheiten, die wir jetzt bereinigen wollen –«
»Ist … ist die Krankheit so schlimm?«
Noch hatte Franz Höllerer nicht gemerkt, welchen Grund diese Zusammenkunft wirklich hatte. Er dachte nur an das Kind. Julia sah ihn bittend an, sie würgte an den Worten, die ihr im Mund lagen. »Sie wissen alles!« wollte sie schreien. »Sie werden uns anzeigen. Wir haben nur einen Traum vom Glück gehabt … das wird jetzt alles anders werden. Wir werden in eine Gefängniszelle gehen, und Maria wird in ein Waisenhaus kommen.« Aber sie hatte nicht die Kraft, es jetzt zu sagen. Sie starrte auf Dr. Wollenreiter, der die Tür zum Büro öffnete und ein Bettchen in das Chefzimmer rollte.
»Maria –«, stotterte Franz Höllerer entgeistert.
»Das ist Ihr Kind?« fragte Professor Karchow. Zum erstenmal ergriff er jetzt das Wort. Julia nickte stumm. Höllerer sagte unbefangen: »Natürlich.«
»Wann wurde es geboren?«
Und jetzt erkannte auch Höllerer die Situation. Mit einem Schritt war er neben Julia und legte den Arm schützend um ihre zuckende Schulter.
»Ach so!« sagte er gedehnt. »Das ist ein kleines außergerichtliches Verhör? Sie brauchen gar nicht weiter zu fragen, meine Herren … ja, es ist das ausgesetzte Kind. Meine Frau hat es damals vor die Tür Ihrer Klinik gelegt, weil sie keinen anderen Ausweg wußte.« Und als Julia etwas sagen wollte, drückte er ihren Kopf an sich und rief über ihre zerzausten Haare hinweg: »Zufrieden, meine Herren? Bitte – nun rufen Sie die Polizei! Lassen Sie uns verhaften. Meine Frau als Kindesaussetzerin, mich als Kindesentführer! Ach ja, ich vergaß … entführt habe das Kind ich! Ich allein! Ich habe das Fenster eingedrückt mit einem Sack und Schmierseife, ich habe Maria aus dem Bett geholt und bin mit ihr nach München geflüchtet.«
Dr. Wollenreiter war bleich geworden. Er stützte sich auf das Kinderbettchen und umkrallte die hölzernen Gitterstäbe.
»Woher wußten Sie, daß es das richtige Kind war? Wir haben doch nachher veröffentlicht, daß man das falsche geraubt habe.«
»Ich habe es nie geglaubt.«
»Eine Mutter kann man nicht betrügen –«, sagte Julia leise und sah zu ihrem Kind hinüber.
»Aber eine Mutter bringt es übers Herz, ihr Kind vor einer fremden Tür auszusetzen?« schrie Wollenreiter
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