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Kinderstation

Kinderstation

Titel: Kinderstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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plötzlich.
    Maria Ignotus begann zu weinen. So viele weiße Kittel, so viele laute Stimmen. Erschrocken legte sie die geballten Fäustchen an den Mund und schluchzte. Dr. Wollenreiter streichelte ihr über die Haare, um sie zu beruhigen.
    »Ich hatte damals keine andere Wahl –«, sagte Julia kaum hörbar.
    »Keine Wahl? Eine Mutter, die ihr Kind hergeben kann, ist … ist …«
    »Bitte, mäßigen Sie sich, Wollenreiter«, warf Prof. Karchow ein. »Es steht uns nicht zu, hier Urteile abzugeben. Wir sollten uns lieber mit der verzwickten Situation auseinandersetzen, die jetzt entstanden ist. Ein ausgesetztes Kind, ein geraubtes Kind, ein wiedergebrachtes Kind … erst unbekannt, dann von den leiblichen Eltern wieder aufgenommen …« Er hob beide Arme. »Meine Herren, ich bin kein Jurist, die haben bestimmt dafür irgendeinen Paragraphen und einen wunderschönen Tatbestandsnamen – wir aber stehen vor der Frage: was nun?«
    »Ganz einfach: Maria bleibt bei mir«, sagte Wollenreiter.
    »Das haben Sie sich gedacht –«, antwortete Höllerer laut.
    »Sie haben kein Recht mehr auf das Kind.«
    »Ich bin die Mutter«, schrie Julia.
    »Und haben Ihr Kind weggeworfen! Einfach auf die Straße gelegt! Wie ein lästiges Paket«, schrie Wollenreiter zurück.
    »Was wissen Sie, was man aus Verzweiflung tun kann?« Julia schwankte. Dr. Julius nahm sie aus den Armen Höllerers und führte sie zu dem großen Ledersofa. Sie schlug die Hände vor die Augen und weinte. Höllerer stand unschlüssig herum, er wußte nicht, wie er weiter reagieren sollte. Er fühlte sich den Ärzten unterlegen, aber eine Schuld anzuerkennen, war er nicht bereit. Er hatte sein Eigentum geholt. Maria war sein Kind.
    Karchow nahm seine Brille ab und putzte sie umständlich. Wollenreiter beruhigte Maria, indem er mit ihren Fingern spielte und sie unter dem Hals kitzelte, Dr. Julius tropfte Kölnisch Wasser auf ein Taschentuch und hielt es Julia hin.
    »Bitte«, sagte er beruhigend. »Wir sind ja zusammengekommen, nicht, um Sie der Polizei zu übergeben, sondern um einen Weg zu finden, der alles normalisiert. Dr. Wollenreiter ist etwas laut – aber das ist er immer. Kümmern Sie sich nicht darum. Sie kennen doch einen Dampfkessel. Wenn der nicht ab und zu Dampf abläßt, platzt er –«
    Dr. Wollenreiter schwieg verbissen. Er erkannte, daß Maria Ignotus für ihn verloren war. Und er wunderte sich selbst über sich, daß ihm diese Erkenntnis weh tat, körperlich schmerzte. Er, durch dessen Hände in den vergangenen Jahren Hunderte Kinder gegangen waren, Kinder, die für ihn nur kleine, liebe Patienten, aber nicht mehr waren, spürte beim Anblick der kleinen Maria, daß auch ein so grober Kerl wie er sein Herz auf so merkwürdige Art vergeben konnte.
    Prof. Karchow setzte seine Brille wieder auf. Er hatte einen Gedanken ›herausgeputzt‹, wie man in der Klinik sagte, wenn Karchow seine Nachdenklichkeit mit Gläserpolieren ausfüllte.
    »Zunächst wollen wir eines ausschalten, meine Herren«, sagte er forsch. »Die Polizei! Das gibt nur wieder Unruhe, das gibt in der Presse Rummel, das richtet die Blicke der Öffentlichkeit auf uns in einem Augenblick, in dem wir vor der großen operativen Tat stehen. Ich schlage deshalb vor, daß wir den ganzen Fall intern regeln. Etwa so: Ich teile meinem Freund, Staatsanwalt Dr. Allach, mit, daß man das Kind Maria Ignotus zum zweitenmal vor unsere Tür gelegt hat. Es ist also zurückgekehrt.«
    »Wildwest in der Klinik Bethlehem«, sagte Wollenreiter giftig.
    »Unterlassen Sie Ihre wohlfeilen Bemerkungen«, sagte Karchow hart. »Oder wissen Sie was Besseres? Meckern kann jeder … besser machen, darauf kommt es an! Ich habe von jeher die unverbindliche Masche der Kritiker abgelehnt! Da kritisiert man Opernaufführungen, Inszenierungen, schauspielerische oder sängerische Leistungen, Bücher und Reden … aber sagt man zu den Kritikern: Bitte, da ist die Bühne! Zeigt, daß ihr es besser könnt! Singt mal, inszeniert, malt Bühnenbilder, schreibt selbst ein Buch … dann furzen sie vor Angst und machen in die Hose! So etwas liebe ich! Wer kritisiert, muß in der Lage sein, Besseres vorzuweisen. Eigene Leistungen!« Er sah zu Oberarzt Dr. Julius und nickte ihm zu. »Sie hatten da vorhin einen Gedanken, Julius –«
    »Ja.« Oberarzt Dr. Julius setzte sich neben Julia auf das Sofa und hielt ihre bebenden Hände fest. »Ich nehme den Gedanken des Herrn Professor wieder auf. Maria ist von den unbekannten Entführern

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