Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kindersucher - Kriminalroman

Kindersucher - Kriminalroman

Titel: Kindersucher - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grossman
Vom Netzwerk:
auf mich, und zwar nicht nur mit überschwänglichem Lob, sondern mit einem grandiosen, fast schon pathologischen Lobgesang. Er bezeichnete mich als einen der größten Wissenschaftler, den die menschliche Rasse jemals hervorgebracht hätte und der mehr als jeder andere dazu beigetragen hätte, den cartesianischen Mythos zu zerstören, dass Körper und Seele voneinander getrennt wären. Er kam erst nach vielerlei Umschweife zur Sache, dass er, indem er auf meine Schultern gestiegen wäre, so oder so ähnlich drückte er sich aus, weit über das hinausgelangt wäre, was ich jemals hätte erreichen können.‹
    Was für eine Frechheit!«, platzte die Grzenskya unwillkürlich heraus, tat dann jedoch so, als hätte sie sich nur geräuspert.
    »›Bis ins letzte Detail erklärte er, wie er in Berlin meinen berühmten Turm des Schweigens neu geschaffen hätte, der für die Experimente, die ich durchführe, so notwendig ist.‹«
    Die Erkenntnis, wo sich dieser Turm befand, traf Kraus plötzlich wie ein Blitzschlag. Natürlich! Wieso war er nicht schon früher darauf gekommen? Wo sonst war Ilse mit ihrem Eiswagen hingefahren? Und von wo war all das ausgegangen? Als er das erste Mal dort gewesen war, war er ihm aufgefallen, dieser riesige, neogotische Koloss, der angeblich schon seit Jahren verlassen war – der alte Wasserturm des Centralviehhofs. Direktor Gruber selbst hatte gemeint, er könnte einen Schauplatz aus einem Vampirfilm darstellen.
    »›Seine Experimente bewiesen zweifellos‹,«, die Grzenskya wurde bei jedem Satz, den sie las, blasser, »›dass die Großhirnrinde und ihre Substrukturen, genau wie ich vermutet habe, die Quelle aller höheren Nervenaktivitäten sind. Dass ich nicht in der Lage gewesen wäre, einen eindeutigen Beweis dieser Hypothesezu liefern, läge daran, dass ich meine Experimente auf Katzen und Hunde beschränkt hätte. Ungehindert von solchen Beschränkungen jedoch wäre ihm der Nachweis gelungen, indem er ...‹« Hier schien ihr Kehlkopf vollkommen seinen Dienst zu versagen, und ihr Gesicht war selbst unter den diversen Schminkeschichten bleicher als das Papier des Briefs. Die Grzenskya ließ die Brille langsam sinken, sah Kraus an und stieß dann hervor, »›Menschen für seine Experimente benutzt hätte, genauer, Kinder zwischen sieben und vierzehn Jahren.‹«
    Spiegel, dachte Kraus. Spiegel bedeutet Reflexion. Dr. Spiegel.
    »Weißt du, wer perfekt Russisch spricht?« Fritz’ Gesicht hatte sich verfinstert.
    »Wenn wir in den Schädel hineinblicken könnten, würden wir vielleicht sehen, wie eine Person denkt ...« Kraus konnte sich noch genau an seine Worte erinnern.

ZWEIUNDDREISSIG
    Der sechseckige, am oberen Ende ausladende und von dickem schwarzem Ruß überzogene Turm ragte massig wie eine verlassene Burg in die Höhe. Von einem Erkertürmchen hing eine lange Kette herunter, die im Wind schaukelte und dabei gespenstisch rasselte. Es war fast fünfzehn Uhr. Dreiundzwanzig Stunden waren seit dem Verschwinden der Jungen vergangen. Und jede einzelne Minute war die reinste Hölle gewesen.
    Die Straßen des Viehhofs pulsierten vor Betriebsamkeit. Viehmakler stürmten eilig über die Straßen oder standen feilschend an Ecken, dicke Zigarren paffend. Die Lastwagen auf der Thaerstraße ächzten unter ihrer schweren Last ... Etliche waren mit Jutesäcken beladen, auf denen der Name SCHNITZLER & SOHN stand. Weiter unten auf der Straße quiekte eine Herde von Schweinen ihr Lebewohl, während sie zum Eingang des Tunnels strömte. Kraus beobachtete das alles aus dem Schatten einer Gasse in der Nähe des ehemaligen Pumpenhauses. Er lauerte dort wie ein Raubtier, das nur auf den richtigen Moment für den Angriff wartet.
    Dieser Angriff war für Sonnenuntergang geplant. Gunther stellte immer noch Abteilungen von bewaffneten Schutzpolizisten zusammen, wie schon bei dem Angriff auf das Lagerhaus am Morgen. Fritz grub Fakten über »Dr. Spiegel« aus und wollte bei Einbruch der Dämmerung zu ihnen stoßen, um ihnen bei diesem Zangenangriff zu helfen. Nur würde der gar nicht stattfinden, weil Kraus nicht vorhatte, noch einmal so ein Desaster zu riskieren wie am Maybachufer. Die ganze Planung war nur eine List gewesen, um sich alle vom Hals zu schaffen. Diesmal würde er alleine hineingehen. Und zwar jetzt.
    Er trat aus dem Schatten, ging ruhig über die Straße, duckte sich dann seitlich in eine Gasse und rannte zum Hintereingang des alten Pumpenhauses – ein Ziegelgebäude, das laut Lageplan

Weitere Kostenlose Bücher