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Kindersucher

Kindersucher

Titel: Kindersucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grossman
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glücklich verheiratet.«
    »Ach ja?«
    »Was an Ilse war so brutal und hässlich?«, drängte er sie.
    Helgas Augen verdunkelten sich. »Ich glaube einfach nicht, dass sie eine besonders glückliche Kindheit hatte, das ist alles. Wehe, man gab ihr das Gefühl, sie wäre unerwünscht. Dann lief sie praktisch Amok.«
    »Amok? Erklären Sie mir, was Sie damit meinen.«
    »Erklären?«
    »Ja. Ein Beispiel, Helga. Zum Beispiel ein besonderer Moment, bei dem Sie Ilse das Gefühl gaben, sie wäre unerwünscht.«
    Helga warf ihm einen durchdringenden Blick zu und sank dann förmlich auf ihrem Stuhl zusammen, als hätte sie wirklich vor etwas Angst.
    »Ein besonderer Moment. Mal sehen. Zum Beispiel gab es da den Tag, als ich ihr sagte, dass ich eine neue Ebene von spirituellem Verständnis erreicht hätte.«
    »Ja ...?«
    »Und dass ich deshalb keine lebenden Tiere für Rituale mehr brauchte.«
    »Ich verstehe. Was hat sie daraufhin gemacht?«
    »Was sie gemacht hat?« Helgas Augenlider flatterten plötzlich, ihre Finger zuckten in ihrem Schoß. »Sie wollen wissen, was sie gemacht hat?«
    Sie sprang auf und fuhr zu Kraus herum. Ihr Gesicht war immer noch halb von Creme bedeckt.
    »Ich werde Ihnen sagen, was sie gemacht hat.« Ihre Stimme stieg fast eine ganze Oktave an, als die Hysterie sie überflutete. »Sie hat gedroht, mich bei lebendigem Leib zu häuten. Können Sie sich so etwas vorstellen? Sie wollte mir bei lebendigem Leib die Haut abziehen! Ich glaube nicht, dass man mir verdenken kann, Herr Kriminalsekretär, dass ich in diesem Moment zu dem Entschluss kam, es wäre an der Zeit, unsere Freundschaft zu beenden.«

DREIZEHN

    Kraus blickte zum x-ten Mal auf seine Armbanduhr. Schweiß lief ihm über die Stirn. Sein Wagen stand in der Nachmittagssonne. Sollte er es jemals zum Inspektor bringen, bekäme er einen Dienstwagen. Bis dahin musste der Familien-Opel genügen. So oder so: Er war fest entschlossen, das Nest dieses Kerls zu finden, den er bei sich den Ochsen getauft hatte. Dieser große, kahlköpfige Bulle, der ihn letzten Herbst mit dem Messer bedroht hatte, schien so ziemlich mit jedem auf dem Markt bekannt zu sein. Wenn überhaupt jemand wusste, wer hier Kinder zerstückelte, dann er.
    Zwei Männer trotteten heran, zwischen sich ein Fass mit einer undefinierbaren Brühe. Kraus versank in seinem Sitz und zog den Hut tiefer in die Stirn. Es wäre zwar nett gewesen, einen abgelegeneren Ort zu finden, vorzugsweise im Schatten. Aber im Augenblick war er da, wo er sein musste: gegenüber vom Eingang des Markts, wo er den schwarzen Lieferwagen des Ochsen im Rückspiegel beobachten konnte. Er saß jetzt seit drei Stunden hier und wäre gern einmal auf die Toilette gegangen. Das hatte er gestern gemacht und prompt diesen Hundesohn verpasst. In solchen Momenten vermisste er einen Kollegen besonders schmerzlich. Nur die Vorstellung, wie diese sechs Zigeuner im Gefängnis schmachteten, linderte sein Selbstmitleid ein wenig.
    Aber wenigstens war er jetzt dem Kinderfresser auf der Spur. Davon war er überzeugt. Wer hätte das gedacht, eine Frau! Kaum vorstellbar, so schien es. Aber als Helga von der Drohung dieser Frau berichtet hatte, sie würde ihr bei lebendigem Leib die Haut abziehen, war er davon überzeugt gewesen, dass sie es sein musste, diese Ilse, die Hirtin, hinter der er her war.
    Ob sie allein arbeitete? War das möglich? Konnte eine Frau so viele Kinder entführen und ermorden? Ihr Fleisch verkaufen? Das wäre schon für einen Mann schwer genug gewesen. Eine Frau musste doch Komplizen haben, oder nicht? Selbst wenn die möglicherweise gar nicht wussten, was sie da taten. Es sei denn natürlich, er unterschätzte diese Person. Wovor die Hohepriesterin Helga ihn ja auch gewarnt hatte.
    »Ich helfe Ihnen, so gut ich es vermag, Herr Kriminalsekretär. Aber hören Sie auf mich«, hatte Helga betont, »um was für ein Verbrechen es sich auch handeln mag, glauben Sie ja nicht, dass dieses Miststück nicht dazu fähig wäre.«
    Mit was für einer wahnsinnigen Person hatte er es hier zu tun?
    Am nächsten Morgen war Kraus zuerst zum Alexanderplatz geeilt und hatte die zweite Spur aufgesucht, die er im Fall der Hirtin hatte.
    »Kai!« Er fand den Jungen am Podest von Berolina, der gigantischen Amazone, die vor dem Haupteingang des Kaufhauses Tietz Wache hielt. Das Dutzend Apachen, allesamt mit Augen-Make-up und lackierten Fingernägeln, pfiff anzüglich, als der Junge in seinem mexikanischen Poncho und seiner

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