Kindersucher
gegen das Vaterland gewendet, sich mit ihren Brüdern weltweit verschworen, Deutschland zu besiegen und zu demütigen.
Kraus hatte nicht die Energie, zwei Jahrtausende Hass zu bekämpfen. Andererseits wollte er den Jungen auch nicht verlieren. Er hatte zu lange auf einen guten Assistenten gewartet. Also lud er Gunther zum Abendessen in die Beckmannstraße ein. Der Junge wusste nicht genau, was er davon halten sollte, aber die Aussicht auf gute Hausmannskost war so verlockend, dass er einwilligte. Am Ende des Abends war er so von Vicki und den Kindern fasziniert, dass er gar nicht mehr gehen wollte. Ganz besonders verblüfft war er, als die Jungs ihm Kraus’ Eisernes Kreuz zeigten, das er für Tapferkeit im Feld bekommen hatte. Dann kramte Vicki einen blauen Seidenschal hervor, den sie in Paris gekauft hatte, den Kraus jedoch nie trug.
»Hier, Gunther, der ist für Sie.«
Vicki versuchte mit aller Macht, sich mit einer Situation zu versöhnen, über die sie alles andere als erfreut war. Dass ihr Ehemann den Kindermörder - Fall übernommen hatte, machte alle glücklich, bis auf Vicki.
»Nehmen Sie ihn ruhig. Ich wette, Sie sehen hinreißend damit aus.«
»Sie schenken ihn mir?« Gunther konnte es nicht fassen.
»Na ja, mein Ehemann trägt ihn nicht.« Vicki tat, als wäre sie verzweifelt, obwohl Kraus nur zu genau wusste, was wirklich bei ihr unter der Oberfläche brodelte. »Er glaubt, alles, was heller ist als dunkelgrau, ist zu grell.«
»Und dabei habe ich immer gehört, dass Juden so geizig wären.«
Vicki stand wie vom Donner gerührt da, während Gunther den Schal entgegennahm.
Der Junge hatte nicht einmal bemerkt, welche Unverschämtheit er soeben von sich gegeben hatte. »Ich danke Ihnen sehr, Frau Kraus.« Er schlang sich den Seidenschal um den Hals und berührte ihn, als wäre er das goldene Vlies. »Ich habe noch nie ein so schönes Kleidungsstück besessen.«
Auf dem Weg zurück zur U-Bahn hatte Kraus das Gefühl, dass er seine Karten auf den Tisch legen musste.
»Hören Sie, Gunther, wir könnten in Zukunft in schwierige Situationen kommen, Sie und ich. Vertrauen kann in einer solche Lage den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten. Wenn Sie mein Assistent und Partner sein wollen, muss ich eins wissen: Können Sie mir mit hundertprozentiger Sicherheit erklären, dass Sie zu mir stehen?«
Gunther schien ganz offensichtlich von dieser direkten Frage überrumpelt.
»Na ja ...« Er hob die Hände und schien abzuwägen. »Meine Eltern haben mir beigebracht, einen Mann nach dem zu beurteilen, was ich sehe, nicht nach dem, was ich höre. Sie und Ihre Familie ...« Er streckte eine seiner riesigen, knochigen Hände aus. »... sind in Ordnung.« Er schüttelte Kraus fest die Hand. »Ich kann also sagen, ich stehe zu Ihnen, ja, Herr Kriminalsekretär. Hundertprozentig.«
Links, rechts, links, rechts. Die Treppe schaukelte, wie auch immer man darauf trat, bis am Ende ein Luftstrahl aus einem großen Gebläse aus dem Boden zischte und die Röcke der Damen aufbauschte, was erneut einen Lachanfall bei den Jungs auslöste.
Mittlerweile wollten alle unbedingt ins Wasser. Für zehn Pfennig Eintritt pro Person konnten sie Badeanzüge und Handtücher leihen und das berühmte Wellenbad besuchen, mit seinen tollen, künstlich erzeugten Wellen. In der Umkleidehalle hockte der dicke kleine Heinz vor Aufregung eine Ewigkeit auf der Toilette. Dann verklemmte sich auch noch sein Reißverschluss, und Erich und Stefan wurden ungeduldig, weil sie so lange warten mussten. Während Kraus, selbst müde und erhitzt, Heinz half, befahl er seinen Söhnen, draußen an der Tür der Umkleidehalle zu warten. Sie sollten sich unter gar keinen Umständen weiter entfernen und schon gar nicht zum Becken hinuntergehen. Offenbar war das keine besonders gute Idee von Kraus. Denn als er nur wenige Momente später mit Heinz aus der Umkleidekabine trat, waren Erich und Stefan nicht mehr da.
Er sah sich hektisch um. Menschenmassen strömten in die Umkleidehalle herein und aus ihr heraus und drängten sich auf den Wegen zum Becken. Bleib ruhig, sagte er sich. Sie können nicht weit gegangen sein. Aber wenn sein Magen schon auf der Achterbahn rebelliert hatte, dann wurde ihm jetzt fast speiübel. Normalerweise beruhigte es ihn, wenn die Jungs zusammen waren, diesmal jedoch konnte ihn dieser Umstand nicht wirklich trösten.
Auch wenn die Hirtin ein Schemen zu sein schien, wusste Kraus sehr genau, dass sie real war. Sie war
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