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Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Titel: Kindertotenlied: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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und in seinem Kielwasser tauchte bald darauf ein Wasserskiläufer auf. Nach den kühnen Zickzacklinien zu urteilen, hatte der Junge schon einige Übungsstunden hinter sich. Claire Diemars Mörder besaß offensichtlich die gleiche Geschicklichkeit und die gleiche Erfahrung. Einmal mehr sagte sich Servaz, dass dies bestimmt nicht sein erster Versuch war.
    Er sah sich vergeblich um: Hier war nichts. Falls sie jemand beobachtet hatte, hatte er keine Spuren hinterlassen.
    Er kam ans Ufer. Er sah Fußabdrücke, die aber schon älter waren. Er begann, am Ufer entlangzugehen. In seinem Rücken zeugte das rhythmische Aufheulen des Motors von den Fahrmanövern des Bootes. Er näherte sich dem Waldsaum und ging einige Meter in das Gehölz hinein, das fast bis ans Wasser reichte.
    In der Ferne bellte ein Hund. In Marsac läuteten Glocken. Das Boot brummte auf dem See.
    Durch ein kleines Schilfgestrüpp floss ein Rinnsal. Das Morgenlicht durchdrang das Dickicht und glitzerte auf dem Wasserlauf, der sich in kleinen Strudeln kräuselte und den sandigen Grund aufwirbelte.
    Der Baumstamm lag gleich neben der Quelle quer über den Weg. Servaz überlegte, wie viele junge Leute aus der Nachbarschaft wohl schon auf diesem Stamm gesessen hatten, um sich zu küssen und im Schutz vor neugierigen Blicken zu flirten. Da waren ja auch zwei Buchstaben in die Rinde eingeritzt.
    Er beugte sich vor und erstarrte.
     
    J. H.
     
    Er hatte sich ein Stück weiter auf einen anderen Baum gesetzt. Die rasch zunehmende Hitze hatte seine Stirn mit einem Schweißfilm überzogen – vielleicht war es aber auch die Entdeckung der beiden Buchstaben. Insekten summten, und einen Moment lang hatte er geglaubt, ihm würde übel. Er verjagte die Mücken, die ihn umschwirrten, und wählte die Nummer des Erkennungsdienstes, um sie zur Spurensicherung zu herzubitten. Kaum hatte er aufgelegt, als sein Handy vibrierte.
    „Mensch, wo haben Sie denn gesteckt? Und wieso ist Ihr Handy ausgeschaltet?“, brüllte eine Stimme in sein Ohr.
    Castaing, der Staatsanwalt von Auch. Servaz hatte sein Handy am Vorabend ausgemacht und es erst heute Morgen wieder eingeschaltet, um die Kripo anzurufen.
    „Es war entladen“, log er. „Es ist mir nicht sofort aufgefallen.“
    „Hatte ich Ihnen nicht gesagt, Sie sollen nichts unternehmen, ohne vorher die Staatsanwaltschaft zu informieren?“
    Lacaze hatte nicht lange gefackelt, dachte er.
    „Hatte ich Ihnen das nicht ausdrücklich gesagt, Commandant?“
    „Ich wollte gerade den Richter informieren“, log er zum zweiten Mal. „Ich war gerade auf dem Sprung, aber Sie sind mir zuvorgekommen.“
    „Blödsinn!“, antwortete der Staatsanwalt. „Für wen halten Sie sich, Commandant, und für wen halten Sie mich?“
    „Wir haben Dutzende von E-Mails gefunden, die Paul Lacaze und Claire Diemar sich geschrieben haben“, antwortete er. „E-Mails, die beweisen, dass sie ein Verhältnis hatten. Paul Lacaze hat es gestern Abend selbst bestätigt. Offensichtlich waren sie leidenschaftlich verliebt. Ich habe ihn als Zeugen befragt.“
    „Und Sie stören ihn und seine krebskranke Frau um elf Uhr nachts? Ich hab gerade vom Justizministerium einen Rüffel gekriegt. Und glauben Sie mir, das mag ich nicht.“
    Servaz beobachtete einen Wasserläufer, der über das stehende Wasser der Quelle tanzte. Mit seinen langen, grazilen Beinen versuchte er sich nur nicht nass zu machen – ebenso wie der Mann am anderen Ende der Leitung.
    „Seien Sie unbesorgt“, sagte er. „Ich übernehme die Verantwortung dafür.“
    „Scheiß auf die Verantwortung!“, keifte der Staatsanwalt. „Das fällt auf mich zurück, wenn Sie Mist bauen! Das Einzige, was mich davon abhält, Sartet zu bitten, Ihnen den Fall zu entziehen und Ihre kriminalpolizeiliche Ermittlungsbefugnis zu widerrufen, ist, dass Lacaze selbst mich bittet, nichts zu unternehmen.“ Er hat Angst, dass es sich herumspricht , dachte Servaz. „Letzte Warnung, Commandant. Keine weiteren Kontakte mit Paul Lacaze ohne vorherige Genehmigung durch den Richter, haben Sie mich verstanden?“
    „Voll und ganz.“
    Er schaltete das Handy wieder aus und wischte sich die Schweißtropfen von der Stirn. Der Schweiß auf seinem Rücken und unter seinen Achseln juckte. Die kühle Luft unter dem Pflanzendach an der Quelle lockte Insekten an.
    Ehe er begriff, wie ihm geschah, spürte er, wie sich sein Mund mit Speichel füllte, und er beugte sich vor, um den Kaffee und das Frühstück zu erbrechen.
     
    #Ziegler

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