Kindertotenlied: Thriller (German Edition)
Mal, dass ich etwas von dir verlange. Das letzte Mal … Und es gibt 2000 Euro …“
Drissa hob den Kopf. Die Aussicht, endlich frei zu sein und gleichzeitig so viel Geld zu verdienen, heiterte ihn ein wenig auf. Der Mann steckte die Hand in die Innentasche seiner Jacke, holte sie wieder hervor und machte sie auf. In seiner Pranke wirkte der USB-Stick winzig klein.
„Du musst diesen Stick nur in die USB-Buchse eines Rechners stecken. Dann schaltest du ihn ein, und alles Weitere erledigt der Stick von selbst: Er findet Passwort und lädt das kleine Software-Programm herunter, das auf ihm gespeichert ist. Das dauert nicht länger als drei Minuten. Dann ziehst du den Stick heraus, schaltest den Computer aus, und das war´s. Erledigt. Niemand wird etwas merken. Du gibst mir den Stick wieder, bekommst die 2000 Euro und hörst nie wieder von mir. Du hast mein Wort.“
„Wo?“, fragte Drissa Kanté.
Das Gefühl, durch eine Feuerwand zu fahren. Jeder Baumschatten war ein Segen. Elvis Konstandin Elmaz hatte die Scheibe heruntergelassen, aber die Luft war so glühend heiß, als hätte er die Tür eines Backofens geöffnet und würde in seinem eigenen Saft schmoren. Zum Glück war es schon spät, und bei dem vielen Wald an der Straße gab es immer wieder Schatten. Vor dem Schild an der Kreuzung fuhr er nach rechts:
CLOS DES GUERRIERS
HUNDEZUCHT
Ein Stück weiter fuhr er in einen engen Weg mit rissiger Asphaltdecke hinein. Eine Scheune und ein Windrad zeichneten sich als Schattenrisse vor dem orangefarbenen Abendhimmel ab. Der Schweißfilm auf seinem Gesicht kam nicht nur von der Hitze. Der Abend und die Schatten machten ihn nervös. Elvis Elmaz hatte eine Heidenangst. Im Krankenhaus hatte er vor diesem Polizisten und dieser komischen Polizistin den Coolen gegeben, aber er hatte sofort verstanden, was los war. Verdammt! Jetzt ging das schon wieder los … Sein Magen bildete einen einzigen Knoten. Er wollte nicht abkratzen. Er würde sich nichts gefallen lassen. Nicht wie diese Schlampe von Lehrerin … Er würde ihnen zeigen, aus welchem Holz er geschnitzt war! Vor Wut und Angst schlug er gegen das Lenkrad. Bande von Arschlöchern, kommt schon, ich mach euch fertig! Euch mach ich kalt, Bande von Idioten! Er hatte sie neulich Abend nicht kommen sehen. Serben, von wegen! Blödsinn! Er hatte diese Geschichte mit der Tussi und den Serben für die Polizei erfunden, ein oder zwei Kumpel in der Bar gebeten, das zu bestätigen … Dieser Bar war voller Typen wie ihm – Kerle, die auf Bewährung waren, auf ihren Prozess warteten oder die nächste Gelegenheit zum Einbruch. Diesmal hätten sie ihn beinahe erwischt, aber er hatte sich gewehrt und sie in die Flucht geschlagen. Zu viele mögliche Zeugen. Das hatte ihn gerettet. Aber für wie lange? Er hatte eine andere Lösung: Alles den Bullen erzählen. Aber dann würde sie den Fall neu aufrollen, die anderen würden erzählen, was an dem Abend wirklich passiert war, und dann wären die Familien hinter ihm her. Prozess und Freiheitsstrafe. Wie lange würde er bei seinem Vorstrafenregister wohl in den Bau einfahren? Er wollte nicht zurück in den Knast. Auf gar keinen Fall.
Neben einem verrosteten Briefkasten und einem in voller Blüte stehenden Holunderbusch forderte ein zweites Schild den Fahrer auf, von der schmalen Straße in einen noch holprigeren Weg abzubiegen. Er schaukelte auf seinem Sitz hoch und runter und klammerte sich am Steuer fest. Auf einer kleinen Rundholzbrücke überquerte er einen Bach, der mitten durch ein schon halb verschattetes Maisfeld lief. Die letzten hundert Meter des Weges führten durch einen regelrechten Gestrüpptunnel. Es wurde immer dunkler, und seine Nervosität wuchs. Ein hoher Grasstreifen, der den Unterboden des Wagens peitschte, teilte den Weg entzwei. Auf einem großen Schild stand:
ROTTWEILER, DOBERMÄNNER, MALINOIS, AMSTAFFS, ARGENTINISCHE DOGGEN UND BORDEAUX-DOGGEN
Daneben die grobe Strichskizze eines Tieres. Elvis hatte sie selbst gezeichnet. Rechts hinter den Bäumen empfing ihn in der vornächtlichen Stille Angst einflößendes Gebell und Gekläff, und er lächelte, als er die Eisengitter klirren hörte, gegen die sich seine Lieblinge wie rasend warfen. Die Molosser schienen sich blutrünstig gegenseitig aufzuhetzen – bis sie es müde waren, und der Lärm erstarb.
Bestimmt litten auch sie unter der Hitze. Nachdem er den Motor abgestellt, den Wagen verlassen und die Tür zugeschlagen hatte, genoss er die
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