Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Titel: Kindertotenlied: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
Vom Netzwerk:
liebt, wie sehr er uns liebt … Er braucht uns und vor allem dich … Wir müssen ihn da rausholen.“
    „Ach ja? Und wie? Genau das ist der Unterschied zwischen ihm und mir … Wenn ich an seiner Stelle wäre, wäre das allen piepegal. Hugo haben schon immer alle umschwärmt, bewundert … Er muss sich nur bücken … Er muss nur mit den Fingern schnippen und schon macht Sarah die Beine breit. Selbst du, Virginie, wünschst dir im Grunde doch nichts mehr, als dass er dich besteigt. Ich dagegen ..“
    „Halt die Klappe!“
    Aufgeschreckte Vögel flatterten mit raschelnden Flügeln aus dem Gebüsch auf.
    „ Ich kann nicht mehr … ich kann nicht mehr … “
    David schluchzte. Sarah lief quer über die Lichtung zu ihm, um ihn zu umarmen. Virginie nutzte die Gelegenheit und nahm ihm das Messer ab. Das Herz schlug Margot bis zum Hals.
    Sie setzten David ins Gras an den Baumstamm. Margot hatte das Gefühl, einer Kreuzabnahme beizuwohnen. Sarah strich ihm zärtlich über Wangen und Stirn, küsste ihn behutsam auf Mund und Augen.
    „Mein Kleiner“, flüsterte sie, „mein armer Kleiner …“
    Margot fragte sich, ob sie alle übergeschnappt waren. Gleichzeitig war da etwas in diesem Wahn – und in Davids Leiden -, das ihr das Herz zusammenschnürte. Nur Virginie schien noch bei klarem Verstand zu sein.
    „Du musst dich behandeln lassen“, sagte sie mit fester Stimme. „David, du musst unbedingt zum Psychiater. So geht das nicht weiter!“
    „Lass ihn in Ruhe!“, sagte Sarah. „Nicht jetzt. Siehst du nicht, in was für einem Zustand er ist?“
    Sie strich zärtlich über sein blondes Haar, drückte ihn mütterlich an sich. Er hatte seinen von Schluchzern bebenden Kopf auf ihre Schulter gelegt.
    „Du musst an Hugo denken“, wiederholte Virginie ein wenig leiser. „Er braucht uns. Hörst du mich? Hugo würde sein Leben für dich opfern! Für jeden von uns! Und du, du stellst dich an wie … wie … Wir dürfen ihn nicht im Stich lassen. Wir müssen ihn da rausholen … Und ohne dich schaffen wir das nicht …“
    Margot war von diesem Anblick wie hypnotisiert, sie konnte sich in ihrem Versteck nicht von der Stelle rühren. Ein einsamer Vogel stieß einen langen, spitzen Schrei aus, und sie fuhr zusammen; der Bann war gebrochen, und sie erwachte aus ihrer Lethargie.
    Du musst dich verdrücken, meine Gute. Falls sie dich entdecken, weißt du nicht, wozu sie imstande wären. Und diese Art, wie sie miteinander umgehen! Weshalb kommt mir das irgendwie krank vor? Irgendetwas schweißt sie zusammen. Ein unzerstörbares Band. Was würde wohl Elias von all dem halten? Und ihr Vater?
    Am liebsten wäre sie auf und davon – zumal ihr die Stechmücken keine Ruhe ließen -, aber sie war zu nahe. Bei der leisesten Bewegung würden sie sie hören. Und bei diesem Gedanken drehte sich ihr der Magen um. Ihr blieb nichts anderes übrig, als hier auszuharren, obwohl sie kaum noch Luft bekam, die feuchten Handflächen auf den Oberschenkeln, die Knie taten ihr weh.
    David nickte langsam. Virginie ging vor ihm in die Hocke und hob sein Kinn an.
    „Bitte, halt durch. Bald trifft sich der Kreis . Du hast recht, es ist vielleicht an der Zeit, mit all dem Schluss zu machen. Die Geschichte dauert jetzt schon lange genug. Trotzdem müssen wir zu Ende führen, was wir begonnen haben.“
    Der Kreis … Sie hörte das jetzt zum zweiten Mal. Irgendetwas Unheimliches, Schreckliches lag in der Luft. Das Zirpen der Grillen und das Herannahen der Nacht: Margot spürte es in ihren Nerven, ihren Adern. Sie wäre am liebsten sofort abgehauen. Plötzlich standen sie auf.
    „Gehen wir“, sagte Virginie, während sie David sein T-Shirt reichte, das er ins Gras geworfen hatte. „Zieh das an. Du kommst mit, okay? In diesem Zustand darf dich bloß niemand sehen.“
    Auf der Lichtung wurde es immer dunkler. David nickte schweigend. Er richtete seinen schmalen, hochgewachsenen Körper auf. Margot sah, wie er sein T-Shirt über den schmächtigen Rumpf und über die vier Wunden streifte, die in der anbrechenden Dunkelheit mehr schwarz als rot aussahen; sie sah zu, wie Sarah und Virginie ihn zu der Stelle der Lichtung zogen, wo der Weg zur Schule den Waldsaum durchbrach. Als sie nur wenige Meter entfernt an ihr vorübergingen, zog sie sich noch tiefer in die Dunkelheit zurück, während das Blut in ihren Schläfen pochte. Sie wartete lange in ihrem Versteck im Gestrüpp, bis sie nur noch die Stille des Waldes hörte, oder besser die von vielfältigen,

Weitere Kostenlose Bücher