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Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Titel: Kindertotenlied: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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Stille, die ihn umgab.
    Nichts rührte sich, nicht einmal die Luft, die schwer war wie Blei; das einzige Lebenszeichen waren die Fliegen, die um ihn summten, und das Knacken des sich abkühlenden Motors. Er zog eine Schachtel Zigaretten aus seiner Jeanstasche und klemmte sich eine zwischen die Lippen. Wischte sich die Stirn ab, und sofort verklebte der Schweiß die Haare auf seinem Unterarm. Zufrieden schnupperte er den Geruch der Kampfhunde – ein wilder, gefährlicher Geruch. Dann steckte er sich die Zigarette an und ging auf das Haus zu. Unter seinem brasilianischen WM-Trikot mit der Aufschrift „RONALDO 9“ trug er noch eine schmutzige Binde um den Oberkörper, unter der sich eine ganze Reihe von OP-Narben versteckte, die ihn bei dieser Hitze furchtbar juckten. Dennoch war er froh, das Krankenhaus verlassen zu haben und wieder zuhause bei seinen geliebten kleinen Tieren zu sein.
    Und bei seiner Waffe.
    Einer Bockdoppelbüchse Rizzini, Kaliber 20, für die Hochwildjagd.
    Noch ein paar Meter, und er wäre in seinem Haus. In Sicherheit. Er überquerte die in halbdunkle Lichtung, stieg die Stufen zur Veranda hinauf, steckte den Schlüssel ins Schloss. Tief im Wald zu leben war bis heute ein Vorteil gewesen. Ein Vorteil für seine kleinen Geschäfte, die Ruhe und Diskretion verlangten. Schon seit langem hatte Elvis die Zuhälterei an den Nagel gehängt – zu riskant, zu viele Probleme – und sich stattdessen auf Hundekämpfe und Rauschgift verlegt. Das war wesentlich lukrativer, und die Hündchen spurten viel besser. Was das Rauschgift anlangte, so war es „das ideale Produkt, die Ware par excellence“, wie es ein Schriftsteller ausgedrückt hatte, von dem Elvis noch nie gehört hatte, dem er sich aber mit Sicherheit angeschlossen hätte. Aber nicht heute. Heute wäre er lieber in der Stadt gewesen, in der Menge aufgegangen, wo sie ihn nicht erreichen konnten. Allerdings konnte er seine Tierchen nicht allzu lange allein lassen. Nach seinem Krankenhausaufenthalt waren sie bestimmt total ausgehungert. Aber heute Abend hatte er nicht die Kraft – und auch nicht den Mut -, sich zu den Zwingern vorzuwagen. Es war dort zu dunkel. Er würde sie morgen füttern, gleich nach dem Aufstehen.
    Er machte die Tür auf, schloss sie hinter sich und lief los, um die Flinte und die Munition zu holen.
    Kommt nur, euch werd ich ´s schon zeigen! Elvis fickt man nicht, er fickt euch!

28
     
    Verlorene Herzen
    Margot hielt die Hitze in ihrem Zimmer nicht mehr aus. Das T-Shirt klebte an ihrem Rücken, das Haar an ihrer Stirn. Sie spülte sich das Gesicht an dem kleinen Waschbecken, das mit einem Wandschirm von ihrem Bett abgetrennt war. Sie nahm ihr Handtuch und öffnete einen Spaltbreit die Tür, um zu den Duschen zu gehen, als sie sie hörte.
    „Was willst du?“, fragte Sarah zwei Türen weiter.
    „Du musst kommen. Es geht um David.“
    „Hör zu, Virginie …“
    „Beeil dich!“
    Margot luchste durch den Spalt. Virginie und Sarah standen sich gegenüber, die eine im Gang, die andere auf der Schwelle ihres Zimmers. Die Schüler im zweiten Jahr Khâgne hatten Anspruch auf Einzelzimmer. Sarah nickte, verschwand für einen Moment in ihrer Bude, ehe sie wieder herauskam und ihrer Kameradin zur Treppe folgte.
    Mist!
    Sie fragte sich, was sie tun sollte. In Virginies Stimme waren Dringlichkeit und Anspannung deutlich zu hören gewesen. David … Margot traf ihren Entschluss im Bruchteil einer Sekunde. Sie schlüpfte in ihre All Stars und verließ ihr Zimmer. Der Gang war menschenleer. Leise schlich sie zur Treppe.
    Sie hörte sie hinuntergehen.
    Murmeln, unterdrückte Ausrufe, während sie die breiten Steinstufen hinabeilten. Sie zog an ihren Shorts, die in ihre Pofalte schnitten, wand sich ein wenig und stieg ihrerseits die monumentale Treppe hinunter, die Hand am Geländer. Durch das große Buntglasfenster am Zwischenabsatz sah sie die Sonne tief zwischen den Gebäuden stehen, deren dunkle Silhouetten sich im Abendrot eng aneinanderschmiegten. Sie trat ins Freie und stand sogleich mitten in den allmählich schwächer werdenden Strahlen der Sonne, die gerade hinter dem schwarzen Horizont der Bäume und Betonklötze versank. Die Luft kam ihr hart vor wie eine Glasscheibe, doch wie eine Salbe linderte der Abend allmählich das Brennen des Tages.
    Sie suchte nach ihnen.
    Entdeckte sie im letzten Augenblick. Zwei Silhouetten, die von der schwarzen Masse des Waldes verschluckt wurden, da hinten, hinter den Tennisplätzen.
    So leise

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