Kindertotenlied: Thriller (German Edition)
es gerade mal 10 Uhr früh. Er zögerte. Er hatte jetzt zwei neue Spuren. Wo sollte er beginnen? Es konnte sehr zeitraubend, eine so „ereignisreiche“ Vergangenheit wie die von Elvis Konstandin Elmaz zu durchleuchten, aber der letzte Satz, den der Albaner geschrieben hatte, ehe er ins Koma fiel, leuchtete in Servaz´ Geist wie eine Neonröhre.
Ein Mensch in seinem Zustand, der weiß, dass er das Krankenhaus vielleicht nicht lebend verlassen wird, bringt mit letzter Kraft eine Botschaft zu Papier. Diese Botschaft kann nur von größter Wichtigkeit sein. Sie sagte: Der, den Sie suchen, ist da.
Und diese Botschaft war an ihn gerichtet, an Servaz.
Elvis Elmaz wusste, wer Claire getötet hatte.
Und es war dieselbe Person oder dieselben Personen, die ihn seinen Hunden zum Fraß vorgeworfen hatten …
Er ging durch die Brandschutztür. Im Flur hatte sich eine Gruppe versammelt, und Servaz glaubte zu verstehen, dass es um Fußball ging. Er versuchten einen Bogen um sie zu machen, trotzdem schnappte er einige Gesprächsfetzen auf.
„Verdammt, was für eine Hitze! Man könnte meinen, man wäre in Südafrika“, sagte jemand.
Einige lachten.
„Von wegen, wir sind weit weg vom Pezula Resort!“, rief ein anderer aus. „Und außerdem ist dort unten gerade Winter.“
Trotz aller Bemühungen, die WM zu ignorieren, war es Servaz nicht entgangen, dass die französische Nationalmannschaft von allen Mannschaften das luxuriöseste Hotel bezogen hatte, und dass sich ihre Reisespesen auf über eine Million Euro beliefen – eine Summe, die er schockierend und ungerechtfertigt fand.
„Martin, glaubst du, dass Frankreich morgen gegen Mexiko gewinnt?“
Alle hier wussten, dass ihn Sport nicht interessierte. Einige lächelten spöttisch.
„Ich hoffe nicht“, erwiderte er im Vorübergehen. „Dann könnte man wenigstens wieder über etwas anderes reden.“
Doch diese Aussicht fanden die meisten ganz offensichtlich nicht besonders witzig.
Margot schlich mit dem Gefühl durch die Flure, dass alle Blicke förmlich an ihr klebten. Je weiter sie kam, umso schwerer lasteten die Blicke auf ihr. Sie ahnte auch das Getuschel, die Stöße mit den Ellbogen, die Blickwechsel hinter ihrem Rücken. Zum Glück war das Schuljahr bald zu Ende. In ihren Ohren vertraute ihr Marilyn Manson an: „Ich will hier weg.“ Oh, mein Kumpel, ich auch. Du und ich, wir verstehen uns, Brian Hugh …
Sie fragte sich, was sie eigentlich wussten? Was waren bloße Gerüchte und was waren durchgesickerte Informationen? Wer hatte geplaudert? Bestimmt nicht ihr Vater, Vincent oder Samira. David? Sarah? Sie ging auf ihr Schließfach zu, als sie wieder einen Zettel daran kleben sah, verkrampfte sich ihr Magen. Das war es also … Sie stellte sich vor, wie die Neuigkeit sich wie ein Lauffeuer im Gymnasium herumsprach: „Hast du schon gehört? Schon wieder eine Botschaft auf Margots Schließfach!“ Verdammte Idioten! Manchmal schien ihr ein Armageddon die geeignete Lösung zu sein.
Sie ging nun geradewegs auf ihr Schließfach zu und sah, dass es diesmal keine schriftliche Botschaft, sondern eine Zeichnung war. Genauer gesagt um eine Abwandlung des bekannten Rekrutierungsplakats der amerikanischen Armee, auf dem Onkel Sam mit dem Finger auf den Betrachter zeigte und sagte I WANT YOU, nur dass der Kopf von Onkel Sam durch ein recht unscharfes Porträt von Julian Hirtmann ersetzt worden war.
Verfluchte Spinner! Hatten die denn nichts anderes zu tun?
Sie riss das Blatt herunter, knüllte es zu einer Kugel zusammen und warf es auf den Boden. Dann schloss sie ihren Spind auf. Da war noch ein Zettel … Sie erkannte die Handschrift wieder. Elias, kleines Arschloch, wer hat dir erlaubt, mein Schließfach zu öffnen, und wie hast du das angestellt? Auf dem Zettel stand: „Ich glaube, ich habe den Kreis gefunden.“
Servaz suchte in seinen Schubladen vergeblich nach einer Aspirin. Er ging in das Büro von Samira und Vincent und zog Vincents Schreibtischschublade auf. Paracetamol, Ibuprofen, Codein, Tramadol … Vincent und seine Medikamente … Man hätte über dem Eingang dieses Zimmers ein Apothekenschild anbringen und außerdem ein Lesegerät für Krankenkassenkarten aufstellen sollen.
Als er mit einer Brausetablette und einem Glas Wasser in sein Büro zurückkam, sah er, dass der Anrufbeantworter seines stationären Telefons blinkte. Jemand hatte angerufen. Die Nummer sagte ihm nichts. Servaz wählte sie, und gleich antwortete ihm eine
Weitere Kostenlose Bücher