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Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Titel: Kindertotenlied: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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begann es zu bereuen, dass sie sich in die Sache hatte hineinziehen lassen. Meine Liebe, das hier gefällt mir nicht.
     
    Drissa Kantés Wohnung war sehr klein, aber sehr bunt. Fast blendeten Irène Ziegler alls diese glänzenden Farben – Rot, Gelb, Orange, Blau – überall an den Wänden. Stoffe, Gemälde, Zeichnungen, Objekte … Hier herrschte ein fröhliches Chaos, und mit Mühr bahnte sie sich einen Weg zu dem Sofa, das mit einem Tuch mit khakifarbenen und schwarzen geometrischen Mustern und mit indigofarbenen Kissen bedeckt war.
    Drissa Kanté hatte sich offenkundig bemüht, in diesem Kabuff ein Stück Heimat erstehen zu lassen. Sie wusste nicht, dass er vor dieser Wohnung mit drei anderen in zehn Quadratmeter großen Zimmern, ja sogar in einem Zelt gehaust hatte. Er saß ihr gegenüber auf einem Stuhl. Er rührte sich nicht. Er sah sie an, und sie las die Angst in seinen Augen. Er hatte ihr seine Begegnungen mit dem „Dicken mit dem fettigen Haar“ haarklein geschildert. Sie hatte ihm aufmerksam zugehört und aus seinen Ausführungen gefolgert, dass der Fettwanst Privatdetektiv war. Das überraschte sie nicht. Seit die Wirtschaft mehr und mehr einem Schlachtfeld glich, hatte die Zahl der Detekteien stark zugenommen, und selbst renommierte Konzerne schreckten nicht davor zurück, ihre Dienste in Anspruch zu nehmen.
    Irène wusste, dass diese Firmen, um an sensible Informationen zu gelangen, auch die guten Dienste einiger ihrer Kollegen in Anspruch nahmen, denen es herzlich gleichgültig war, mit welchen Mitteln sie ihr Monatsgehalt aufbesserten: Gendarmen, Soldaten, ehemalige Mitarbeiter der Nachrichtendienste. Drissa Kanté war nur ein kleiner Handlanger unter Hunderten. Eigentlich war es egal, was für Aufträge der Malier für diesen Mann erledigt hatte. Was sie interessierte, war der Mann selbst.
    „Tut mir leid“, sagte er. „Das ist alles, was ich über ihn weiß.“
    Er hielt ihr die Zeichnung hin, die er gerade angefertigt hatte. Er hat eine sichere Hand. Die Zeichnung konnte mit jedem Phantombild mithalten.
    Sie sah ihn an. Drissa Kanté troff vor Schweiß. Im Schein der Lampe glänzten die schmalen Rinnsale auf seiner dunklen Haut. Seine Augen funkelten in ängstlicher Erwartung, seine Pupillen waren geweitet.
    „Sie kennen also keinen Namen, kein Pseudonym, keinen Vornamen?“
    „Nein.“
    „Haben Sie diesen USB-Stick noch?“
    „Nein, ich habe ihn zurückgegeben.“
    „Okay. Dann versuchen Sie sich noch an andere Details zu erinnern. Ein Meter neunzig, 120 Kilogramm, fettiges braunes Haar, schwarze Brille. Was noch?“
    Er zögerte.
    „Er schwitzt stark. Er hat immer dunkle Schweißflecken unter den Achseln.“
    Er suchte in ihrem Gesicht nach einem Anzeichen der Anerkennung. Sie nickte.
    „Er trinkt Bier.“
    „Was noch?“
    Er nahm ein Taschentuch heraus, um sich den Schweiß vom Gesicht zu wischen.
    „Ein Akzent.“
    „Was für ein Akzent?“
    Er zögerte.
    „Sizilianisch oder italienisch …“
    Sie fasste ihn scharf ins Auge.
    „Sind Sie sicher?“
    Erneutes Zögern.
    „Ja. Er redet wie Mario, der Pizzabäcker.“
    Sie lächelte unwillkürlich. Sie schrieb in ihr Notizbuch: SuperMario? Sizilianer? Italiener?
    „Ist das alles?“
    „Mhm.“
    Wieder die Angst in seinen Augen.
    „Das reicht nicht, oder?“
    „Wir werden sehen.“
     
    Espérandieu hörte sie jetzt. Zwei Türen weiter plauderten sie, lachten und wetteten auf das Ergebnis. Er hörte sogar die Stimme der Kommentatoren, die die Mannschaftsaufstellung bekanntgaben, sie brüllten, um den Krach der Zuschauer im Stadion und das Brausen der Vuvuzelas zu übertönen. Und auch das Klirren der Bierflaschen, die gegeneinanderstießen.
    Er schloss die Akte. Er würde diese Arbeit morgen beenden. Ein paar Stunden konnte das schon warten. Er hatte Lust auf ein kühles Bier und darauf, die Nationalhymnen zu hören. Diesen Moment mochte er am liebsten. Er wollte gerade aufstehen, als auf seinem Schreibtisch das Telefon läutete.
    „Wir haben das Ergebnis des graphologischen Vergleichs“, sagte eine Stimme.
    Er setzte sich wieder hin. Das Heft auf Claires Schreibtisch. Und die Korrekturen in Margots Aufsatz … Wenigstens war er nicht der Einzige, der heute Abend arbeitete.
     
    Servaz parkte in der ruhigen Straße. Sämtliche Fenster des Hauses waren dunkel. Die warme Luft und ein Duft von Blumen drang durch die heruntergelassene Scheibe ins Wageninnere. Er zündete sich eine Zigarette an und wartete. Zweieinhalb Stunden

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