Kindertotenlied: Thriller (German Edition)
Tauchzeit. Jedenfalls werde ich dich nicht aus den Augen lassen, und wir bleiben maximal 45 Minuten unter Wasser, verstanden?“
Er nickte. Versuchte, sich zu bewegen. Machte zwei Schritte nach vorn, hob dabei die Knie an, um nicht über die Flossen zu stolpern. Blieb stehen. Er kam sich vor wie ein unbeholfener Tollpatsch. Völlig aus dem Gleichgewicht. Das Gewicht der Flasche in seinem Rücken ließ ihn meinen, jemand machte sich ein diebisches Vergnügen daraus, ihn nach hinten zu ziehen, und er würde im nächsten Moment hintenüber fallen.
Ziegler schlug die Heckklappe des Cherokee zu, das Geräusch ließ einen Schwarm Vögel in den Kiefern und Tannen am anderen Seeufer aufstieben. Abgesehen von dem Rascheln der Blätter im warmen Wind und dem Donner, der über ihnen kreiste, herrschte völlige Stille.
„Ok, fassen wir noch mal kurz zusammen. Mit dem schwindenden Tageslicht wird es dort unten schnell dunkel: Halt die Tauchlampe immer vor deine Hand, damit ich verstehe, was du sagen willst. Wenn alles in Ordnung ist, machst du das Zeichen ‚OK‘.“ Sie bildete einen Kreis aus Daumen und Zeigefinger. „Als Anfänger wirst du deine Reserven viel schneller aufbrauchen als ich, vergiss nicht, sie regelmäßig zu überprüfen. Du hast Luft für eine gute Stunde. Wenn du ein Problem hast oder wenn wir getrennt werden sollten, schwenkst du die Tauchlampe in alle Richtungen, und du rührst dich nicht von der Stelle. Ich komm zu dir. Alles klar?“
Klar war, dass er immer weniger Lust auf diesen Tauchgang hatte. Aber er nickte zustimmend, obwohl seine Zähne etwas zu fest auf das Mundstück des Druckluftventils bissen und seine Kiefer verkrampft waren.
„Noch etwas, atme ein, aber vergiss nicht, auch regelmäßig auszuatmen. Unter Wasser lassen dich Lungen, die allzu lange mit Luft gefüllt sind, zwangsläufig zur Oberfläche aufsteigen. Wenn das geschehen sollte, denk daran, langsam auszuatmen. Da sich die Luft in dem Maße, wie du aufsteigst, in deinen Lungen ausdehnt, könnte es sonst gefährlich werden.“
Super . Ein großer Vogel stieß einen langen heiseren Schrei aus und flog dicht über der Wasseroberfläche davon.
„Das ist echt hirnrissig“, fügte sie hinzu. „Bist du sicher, dass du das willst?“
Wieder nickte er.
Sie zuckte mit den Schultern, drehte sich um und ging langsam rückwärts ins Wasser, das kaum hörbar plätscherte. Er machte es ihr nach und spürte durch den Taucheranzug hindurch gleich das kühle Wasser. Aber das war ihm ganz recht, denn er begann schon keine Luft mehr zu bekommen, aber er war nicht sicher, ob das nach einer Stunde dort unten noch genauso angenehm wäre. Ein Bergsee , dachte er. Sie waren hier weit weg von den Seychellen …
Als ihnen das Wasser bis zur Brust reichte, spuckte die Gendarmin in ihre Maske, verteilte den Speichel auf der Oberfläche des Plexiglases und spülte sie, ehe sie sie aufsetzte. Servaz tat es ihr nach. Dann tauchte er seine Maske ins Wasser und betrachtete den Grund. Der Schlamm, den sie aufgewühlt hatten, ließ Milliarden kleinster Teilchen durchs Wasser schweben, sodass er nicht das Geringste erkennen konnte. Er hoffte, sie würden in der Tiefe mehr sehen.
„Noch etwas. Wenn ich deine Hand losgelassen habe, bleib auf meiner Höhe. Entferne dich nicht mehr als drei Meter. Ich will dich im Auge behalten. Und vergiss nicht, den Druck auf das Trommelfell auszugleichen, indem du dir in die Nase zwickst und fest ausatmest. Das mildert das Sausen in deinen Ohren. Dieser See ist tief, und die Wirkung des Wasserdrucks spürt man bereits nach zwei oder drei Metern.“
Er machte das OK-Zeichen, und sie lächelte flüchtig. Sie wirkte noch gestresster als er.
„Steck dein Druckminderungsventil in den Mund.“
Sie nahm ihn bei der Hand, und sie ließen sich mit den Flossen schlagend ins Wasser gleiten. Als sie sich ein Stück vom Ufer entfernt hatten, gab sie ihm durch ein Zeichen zu verstehen, Luft aus der Tarierjacke abzulassen, und in einer Wolke von Luftbläschen begannen sie mit dem Abstieg.
Er brauchte einige Sekunden, um sich an das Druckminderungsventil zu gewöhnen, und er musste sich richtig anstrengen, um unter Wasser zu atmen. Die Erinnerungen an seine Erfahrung im Schwimmbecken, die mittlerweile immerhin fast zwanzig Jahre zurücklag, kehrten wieder, und ihm fiel ein, dass er es schon damals nicht besonders gemocht hatte.
Trotz der Ufernähe war es bereits stockdunkel, und in den sich überschneidenden Lichtkegeln ihrer
Weitere Kostenlose Bücher