Kindertotenlied: Thriller (German Edition)
völlig weggepfiffen am Swimmingpool von Mademoiselle Diemar gefunden hat“, sagte er.
„Und?“
„ Ich hab gehört, dass dein Vater die Ermittlungen leitet …“
Sie hörte auf, mit ihrem Feuerzeug zu spielen, das einfach nicht zünden wollte.
„Wer hat dir das gesagt? Ich dachte, du redest außer mir mit keinem?“
„Ein paar Mädchen haben heute Morgen neben mir darüber geredet … Neuigkeiten breiten sich hier rasch aus. Man braucht nur seine kleinen Antennen auszufahren“, sagte er und hielt die Hände wie Fächer an den Kopf.
„Okay. Worauf willst du hinaus?“
„Ich war gestern Abend, bevor das passiert ist, im Dubliners … Hugo und David waren auch dort.“
„Na und? Ich hab gehört, die Kneipe war wegen der WM … Uruguay gegen Frankreich … rammelvoll …“
„Hugo ist gegangen, bevor das Spiel angefangen hat. Etwa eine Stunde, ehe Mademoiselle Diemar umgebracht wurde.“
„Ja, das wissen alle. Das sind die Gerüchte, die kursieren.“
„Das ist kein Gerücht. Ich war da. Keiner hat ihn beachtet, alle haben auf dieses verdammte Fußballspiel gewartet. Alle außer mir.“
Ein Lächeln zeichnete sich auf Margots Lippen ab, als sie an ihren Vater dachte.
„Sport ist wirklich nicht dein Ding, Elias, was? Und was hast du die ganze Zeit gemacht? Den kleinen Voyeur gespielt? Gepennt? Die Brüder Karamasow gelesen?“
„Vielleicht sollten wir uns auf das Wichtige konzentrieren“, wies er sie zurecht. Sie hatte nicht übel Lust, ihm ordentlich eins auf den Deckel zu geben, aber sie hielt den Mund.
„Und was ist das Wichtige?“
„ David ist auch rausgegangen …“
Diesmal lauschte sie gebannt. Noch einmal rissen für einen kurzen Augenblick die Wolken vor dem Mond auf wie ein Reißverschluss über einer weißen Brust.
„Was?“
„Ganz genau. Ein paar Sekunden später.“
„Du meinst …“
„Dass sich auch David das Spiel nicht angeschaut hat. Keiner hat darauf geachtet, weil alle bloß diesen Fußball-Quatsch im Kopf hatten … Außer vielleicht Sarah.“
„Sarah war bei ihnen?“
„Ja, an ihrem Tisch. Als einzige hat sie sich nicht von der Stelle gerührt. Später kam David an den Tisch zurück. Nicht aber Hugo, wie du weißt.“
Margot war plötzlich hellwach.
„Wie lange war er weg?“
„Keine Ahnung. Ich hab nicht auf die Uhr geschaut. Wie du dir denken kannst, hatte ich nicht den leisesten Schimmer von dem, was da vor sich ging. Ich habe nur bemerkt, dass David irgendwann wieder am Tisch saß. Das ist alles.“
Sarah war wie David und Hugo in der Khâgne. Sie war wahrscheinlich das hübscheste Mädchen auf dem Gymnasium. Sie trug gern kleine Hüte schief auf ihrem kurzgeschnittenen blonden Haar. Sie, David, Hugo und ein zweites Mädchen namens Virginie – eine temperamentvolle kleine Brünette mit Brille – waren quasi unzertrennlich.
„Warum erzählst du mir das alles? Damit ich meinem Vater vorschlage, er soll Sarah vernehmen?“
Er lächelte.
„Willst du nicht mehr wissen?“
„Wieso?“
„Wie der Vater, so die Tochter, oder nicht? Ich meine: Wer außer uns könnte in der Schule besser ein paar Nachforschungen anzustellen?“
„Das ist nicht dein Ernst!“
Er stand auf. Er war gut einen Kopf größer als sie.
„Oh doch!“
„Verdammt, Elias!“
„Fassen wir die Tatsachen mal zusammen: Hugo wurde am Tatort vorgefunden und steht unter Mordverdacht, David verlässt die Kneipe einige Sekunden nach ihm, Sarah hat alles gesehen, hält aber die Klappe. Und wir haben die vier besten Schüler im zweiten Jahr der Khâgne – anders gesagt die hellsten Köpfe im Umkreis von zig Kilometern -, die ein unzertrennliches Quartett bilden. Du musst zugeben, dass die Dinge, so betrachtet, viel interessanter werden, oder? Kurz und gut, irgendetwas ist da faul.“
„Und du willst, dass wir unsere Nase da hineinstecken? Warum?“
„Denk doch nach! Wer sind, einmal abgesehen von diesen vier, die brillantesten Köpfe an diesem Gymnasium?“
Ungläubig schüttelte sie den Kopf.
„Und einmal angenommen, ich wäre einverstanden: Wie sollen wir vorgehen?“
Das Lächeln auf den Lippen des jungen Mannes wurde breiter.
„Wenn einer von ihnen irgendetwas mit der Tat zu tun hat, wird er vor deinem Vater, den Bullen und den Lehrern auf der Hut sein – vor allen, außer vor seinen Mitschülern. Das ist unsere Chance. Wir überwachen sie gemeinsam, und wir warten ab, was passiert. Der Täter wird sich zwangsläufig irgendwann mit irgendetwas
Weitere Kostenlose Bücher