Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Titel: Kindertotenlied: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
Vom Netzwerk:
auf, dass sich selbst Pujol ein Smartphone zugelegt hatte, und er seufzte, als er seinen Notizblock und seinen gut gespitzten Bleistift hervorholte.
    Mit 49 Jahren war Pujol der Veteran der Gruppe. Ein Polizist der alten Schule, ein harter Bursche, ein Anhänger des „harten Durchgreifens“. Er war ein stämmiger Typ, eine Respekt einflößende Erscheinung, mit einem dichten grau melierten Wuschelkopf, in dem er herumwühlte, wenn er nachdachte. Was er allerdings nach Servaz´ Geschmack nicht oft genug tat. Seine Erfahrung machte ihn zu einem wichtigen Aktivposten des Teams, doch manches an ihm missfiel Martin auch: seine rassistischen Witze, sein manchmal grenzwertiges Verhalten gegenüber jungen Kolleginnen, sein latentes Macho-Gehabe und seine Homophobie. Beides hatte sich gezeigt, als Espérandieu und Samira Cheung zu der Abteilung gestoßen waren. Zusammen mit einigen Kollegen hatte er die beiden Neulinge schikaniert und gedemütigt – bis zu dem Tag, an dem Servaz beschlossen hatte, dem ein Ende zu setzen. Damals hatte er auf Methoden zurückgegriffen, die er eigentlich verurteilte, und sich auch ein paar Feinde gemacht. Aber zugleich hatte er sich die ewige Dankbarkeit dieser beiden jungen Mitarbeiter gesichert.
    Das letzte Brühwasser lief gluckernd durch den Kaffeefilter, und Espérandieu schenkte ein. Die beiden anderen waren in die Lektüre der E-Mail vertieft.
    „Sagt Ihnen der Name Theodor Adorno etwas, Chef?“, fragte Samira.
    „Theodor Adorno war ein deutscher Philosoph und Musikwissenschaftler, der sich ausgezeichnet im Werk von Gustav Mahler auskannte“, antwortete er.
    „Julian Hirtmanns Lieblingskomponist, aber auch deiner“, bemerkte Espérandieu.
    Servaz´ Miene verfinsterte sich.
    „Millionen von Menschen schätzen Mahlers Musik.“
    „Was beweist, dass das hier kein Scherz ist?“, fragte Samira, den Kaffeebecher in der Hand. „Seit Hirtmanns Flucht haben wir Dutzende Anrufe von Spinnern erhalten, und bei der Kripo ist ein Haufen von E-Mails eingegangen, die genauso frei erfunden waren.“
    „Aber diese Mail ist auf seinem privaten Account eingegangen“, stellte Espérandieu klar.
    „Um wie viel Uhr?“
    „Gegen 18 Uhr“, sagte Servaz.
    „Die Absendezeit steht hier.“ Espérandieu zeigte oben auf die Seite.
    „Na und, was beweist das schon? Hatte Hirtmann diese Adresse? Haben Sie sie ihm gegeben, Chef?“
    Die Frage kam von Samira.
    „Natürlich nicht.“
    „Also beweist das nichts.“
    „Wissen wir, von welchem Rechner die Mail geschickt wurde?“, erkundigte sich Pujol, der er sich auf seinem Sitz zurücklehnte, sich streckte und mit den Fingern knackte.
    „Die Cyber-Abteilung sitzt dran“, sagte Espérandieu.
    „Wie lange dauert das?“, wollte Servaz wissen.
    „Weiß nicht. Erstens ist heute Sonntag – und man hat extra einen Techniker kommen lassen. Zweitens hat er ein bisschen rumgemeckert, er säße schon an der Festplatte von Claire Diemar, was er denn jetzt zuerst erledigen soll. Drittens haben sie noch was Dringendes, was absoluten Vorrang hat. Gendarmerie und Sicherheitspolizei sind einem pädophilen Netzwerk auf der Spur, über das frankreich- und europaweit Fotos und Videos ausgetauscht werden. Sie müssen Hunderte von E-Mail-Adressen überprüfen.“
    „Und da dachte ich, ein Serientäter, der gerade wieder loslegt, hätte auch Vorrang.“
    Die Bemerkung ließ die Temperatur Raum deutlich sinken. Samira trank einen Schluck Tee und schien ihn bitter zu finden.
    „Hat er auch“, sagte sie leise. „Aber es geht immerhin um Kinder, Chef …“
    Servaz spürte, wie sein Gesicht rot anlief.
    „Okay, okay“, antwortete er.
    „Fall es sich wirklich um Hirtmann handelt“, sagte Pujol.
    Er fuhr auf.
    „Wie das?“
    „Ich schließ mich Samira an“, sagte Pujol zur allgemeinen Überraschung. „Diese Mail beweist doch gar nichts. Es gibt da draußen mit Sicherheit Leute, die in der Lage sind, sich deine E-Mail-Adresse zu besorgen. Vertraulichkeit im Internet? – Alle wissen, dass das nur leeres Gerede ist. Mein Sohn ist 13, und er weiß dazu zehnmal mehr als ich. Unter den Hackern und den Nerds sollen ja so einige Spaßvögel sein.“
    „Wie viele Personen, meint ihr, wussten, welche Musik in Hirtmanns Zelle lief, als ich ihn dort besucht habe?“
    „Bist du zu 100 Prozent sicher, dass kein Journalist Wind davon bekommen hat? Dass diese Information nirgendwo aufgetaucht ist? Sie haben damals ganz schön herumgeschnüffelt. Die Presse war bei allen

Weitere Kostenlose Bücher