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Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Titel: Kindertotenlied: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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Sokrates erschütterte sie gern die bequemen Gewissheiten ihrer Gesprächspartner. Gab die Spielverderberin.
    Sie hielt in der Menge nach ihnen Ausschau und entdeckte sie schließlich. Sie hatten sich getrennt. Sarah und Virginie rauchten schweigend, während sich David einer anderen Gruppe angeschlossen hatte. Sie konzentrierte sich auf ihn. Er war das ganze Wochenende über von der Bildfläche verschwunden, aber Margot wusste, dass er wie Elias und sie selbst nicht nach Hause gefahren war. Wo war er gewesen? Seit er heute Morgen wieder aufgetaucht war, wirkte er nervös und angespannt. David war Hugos bester Freund. Sie waren unzertrennlich. Mehr als einmal hatte sie sich mit ihm unterhalten. Davids Art, nichts ernst zu nehmen, machte sie wahnsinnig, aber hinter diesem Clown-Gehabe spürte sie einen Ernst, eine Verletzung, die manchmal seinen Blick verschleierte. Als ob das Lächeln, zu dem sich seine Lippen zwischen dem blonden Bart unaufhörlich dehnten, nur ein Schild war. Zum Schutz wogegen?
    Margot spürte, dass sie sich auf ihn konzentrieren musste.
    „Hast du … bem…kt, wie … angesp … Davi … ist?“
    Der Satz drang nur bruchstückhaft durch die Klangmauer in ihren Ohren, als Marilyn Manson gerade brüllte: „Fuck! Eat! Kill! Now do it again!“
    Es war Elias. Sie zog einen ihrer Ohrhörer heraus.
    „Ich bin dir nachgegangen, seit wir aus der Klasse raus sind“, sagte er.
    Sie zog eine Braue hoch. Elias beobachtete sie durch seine Strähne hindurch.
    „Na und?“
    „Ich hab gesehen, was du treibst … Du behältst sie im Auge . Ich dachte, du findest meine Idee schwachsinnig?“
    Sie zuckte mit den Schultern und stöpselte ihren Ohrhörer wieder ein. Er zog ihn wieder heraus.
    „Jedenfalls solltest du dich ein bisschen diskreter verhalten“, schrie er ihr mit voller Lautstärke ins Ohr. „Außerdem habe ich mich informiert: Niemand weiß, wo David dieses Wochenende gewesen ist.“
     
    Das Dubliners wurde von einem Irländer aus Dublin geführt, der, wie nicht anders zu erwarten, der Meinung war, Joyce für den größten Schriftsteller aller Zeiten hielt. Er war schon zu Servaz´ Zeiten in Marsac gewesen. Francis und er kannten ihn nur unter seinem Vornamen: Aodhágan. Noch immer stand er selbst hinter der Theke. Auch Aodhágan war zwanzig Jahre älter geworden – nur dass er damals so alt gewesen war wie Servaz heute. Mitte der achtziger Jahre war Aodhágan nach einer Militärlaufbahn nach Südwestfrankreich gekommen (manche behaupteten freilich, er sei nicht bei der britischen Armee, sondern bei der IRA gewesen), um Englisch zu unterrichten, aber für einen Lehrer war er etwas zu jähzornig und streitsüchtig gewesen, und er hatte festgestellt, dass er hinter einer Theke mehr Autorität besaß als auf dem Katheter.
    Aodhágáns Pub von war das einzige in Marsac, in dem man neben Holz, Kupfer und Zapfhähnen aus Steingut auch Regale voller Bücher auf Englisch fand. Die Gäste waren vor allem Studenten und Mitglieder der örtlichen britischen Expat-Gemeinde. Als Student war Servaz mehrmals pro Woche hier, allein oder in Begleitung von Van Acker und einigen anderen, und nicht selten nahm er mit einem kleinen Bier oder einem Kaffee in der Hand ein Buch aus dem Regal. Damals versenkte er sich begeistert in die Lektüre der englischen Originalfassungen von Der Fänger im Roggen , Dubliner oder Unterwegs , ein voluminöses Wörterbuch immer in Griffweite.
    „Mann, ich seh wohl nicht richtig, das ist doch der junge Martin!“
    „Nicht mehr so jung, altes Haus.“
    Aodhágáns Haare und Bart waren mittlerweile mehr grau als braun, aber er sah noch immer halb aus wie ein Kommandomitglied, halb wie ein DJ in einem Piratensender der sechziger Jahre. Er ging um die Theke herum und umarmte Servaz.
    „Was treibst du denn so?“
    Servaz sagte es ihm. Aodhágán runzelte die Stirn.
    „Und ich hab immer gedacht, du würdest der zweite Keats.“
    Servaz hörte seine Enttäuschung heruas, und für den Bruchteil einer Sekunde schämte er sich. Aodhágán klopfte ihm noch einmal auf die Schulter.
    „Ich geb einen aus! Was willst du?“
    „Hast du noch dein berühmtes Dunkles?“
    Aodhágán blinzelte ihm zu, sein ganzes Gesicht war von Freudenfalten durchzogen. Als er mit dem Bier zurückkam, wies Servaz auf den Stuhl vor ihm.
    „Setz dich!“
    Der Ire sah ihn überrascht, ja argwöhnisch an. Auch nach all den Jahren erkannte er den Tonfall – und für die französische Polizei hatte er auch nicht

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