Kindertotenlied: Thriller (German Edition)
verschmiert und auf den Boden uriniert, um gegen die Folter und die Misshandlungen zu protestieren. Wir bekamen verdorbenes Essen, wir wurden verprügelt, wir wurden gefoltert und gedemütigt … Aber ich bin nicht weichgeworden, ich bin keinen Zollbreit zurückgewichen. Ich hasse Uniformen, junger Mann, auch wenn sie unsichtbar sind.“
„Dann stimmt es also …“
„Was denn?“
„Dass du bei der IRA warst.“
Aodhágan antwortete nicht. Unbeirrt starrte er Servaz an.
„Ich habe mir sagen lassen, dass sich die IRA in den Ghettos regelrecht wie eine Polizei aufführte“, sagte Servaz.
In Aodhágáns Augen flammte die Wut auf. Dieser Mann hatte nicht vergessen.
„Hugo ist ein guter Junge“, erklärte er. „Glaubst du, er ist der Täter?“
Servaz zögerte.
„Ich weiß nicht. Deshalb musst du mir helfen, Polizist hin oder her.“
„Tut mir leid, aber ich hab nichts gesehen.“
„Es gibt vielleicht noch eine Möglichkeit …“
Aodhágán sah ihn fragend an.
„Sprich mit den Leuten, , versuch in Erfahrung zu bringen, ob jemand etwas gesehen oder gehört hat.“
Der Ire warf ihm einen ungläubigen Blick zu.
„Du meinst, ich soll den Polizeispitzel spielen?“
Servaz fegte den Einwand vom Tisch.
„Ich will, dass du mir hilfst, einen Unschuldigen aus dem Gefängnis zu holen“, erwiderte er. „Einen Jungen, der seit gestern in Untersuchungshaft sitzt. Einen Jungen, den du magst. Genügt dir das nicht?“
Aodhágán warf ihm vernichtende Blicke zu. Servaz sah, dass er nachdachte.
„Ich schlag dir folgenden Deal vor“, sagte er schließlich. „Ich teile dir jede entlastende Information mit, die mir zu Ohren kommt, und ich behalte alle belastenden Informationen für mich, ganz gleich, ob sie Hugo oder jemand andern betreffen.“
„Verdammt!“, protestierte Servaz, die Stimme hebend. „Eine Frau wurde gefoltert und in ihrer Badewanne ertränkt! Und vielleicht läuft da draußen ein Psychopath herum, der noch nicht fertig ist!“
„Du bist der Bulle“, sagte der Ire und stand auf. „Entweder – oder.“
Um 17:31 Uhr trat er wieder auf den kleinen Platz hinaus. Er betrachtete den Himmel. Es würde bald wieder regnen. Die Beklemmung war immer noch da. Ganz deutlich spürte Servaz sie in der Magengrube.
Am Freitagabend ist auf diesem Platz irgendetwas passiert, dachte er. Hugo sagt, dass ihm nicht wohl ist. Es ist noch nicht 20:30 Uhr, das Spiel der französischen Nationalmannschaft hat noch nicht begonnen. Er geht zu seinem Auto. Jemand folgt ihm auf den Fersen. Jemand, der sich unter der Menge im Pub befand und der diesen Moment abgepasst hat .
Anderthalb Stunden später findet die Gendarmerie Hugo im Garten von Claire Diemar. Was geschieht in den Sekunden, unmittelbar nachdem er das Pub verlassen hat? Ist er allein, oder begleitet ihn jemand? Wann wird er bewusstlos?
Er ließ den Blick über den Parkplatz und die Autoreihen gleiten. In der Ferne zerriss ein Donnerschlag die abendliche Stille. Ein jäher warmer Windstoß fuhr ihm durch die Haare, und einige Tropfen durchdrangen die feuchte Luft. Auf der anderen Seite des Platzes erhob sich das höchste Gebäude von Marsac – zehn Stockwerke Beton -, ein Schandfleck inmitten der kleinen Wohnblöcke und Stadtvillen. Im Erdgeschoss befanden sich ein Hundesalon, eine Arbeitsagentur und eine Bank. Da. Die Überwachungskameras der Bank … Zwei gab es. Die erste war auf den Eingang gerichtet, die zweite filmte den Rest des Platzes. Also auch den Parkplatz. Servaz schluckte. Das wäre ein wahnsinniger Glückstreffer. Zu schön, um wahr zu sein. Aber überprüfen musste er es trotzdem.
Er verriegelte den Jeep wieder und ging durch die Gasse zwischen den Autos Richtung Kamera.
Er stellte fest, dass sie in die richtige Richtung zeigte. Er drehte sich zum Eingang des Pubs um. Mindestens fünfundzwanzig Meter … Alles hing jetzt von der Bildqualität ab. Die Kamera war wohl zu weit weg, als dass man auf den Aufnahmen jemanden, der das Pub verließ, identifizieren könnte – außer vielleicht, man wusste, mit wem man es zu tun hatte. Und vielleicht war sie auch nicht zu weit weg, um festzustellen, ob jemand gleich nach Hugo aus der Kneipe gekommen war.
Er drückte den Türöffner der Bank, und der Öffnungsmechanismus surrte. Innen durchquerte er die große Schalterhalle, vorbei an den Kunden, die an den Schaltern warteten, trat über die weiße Abstandslinie auf dem Boden und hielt einer der vier Mitarbeiterinnen seine Dienstmarke
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