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Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Titel: Kindertotenlied: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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Satellitenschüsseln – sonst nichts.
    Wo war er?
    Der Regen hatte wieder eingesetzt, noch stärker als zuvor. Er tropfte ihm in den Kragen, trommelte auf seinen Schädel, benässte sein Gesicht. Schwarze Wolken standen regelrecht über der Stadt. Blitze tauchten die Hügel in bleiches Licht. Er hatte das Gefühl, mitten im Himmel zu schweben.
    Der Wind in seinen Ohren.
    Ein Geräusch auf der Linken …
    Er wandte den Kopf um, ebenso seine Waffe. Im gleichen Moment analysierte sein Gehirn in einer Hundertstelsekunde die Lage und gelangte zu dem Schluss, dass dies nur eine Falle war. Ein Kieselstein, ein Gegenstand … Jemand hatte etwas geworfen, um seine Aufmerksamkeit in die falsche Richtung zu lenken.
    Zu spät hörte er die schnellen knirschenden Schritte in seinem Rücken. Schon spürte er den jähen Schlag in seiner Wirbelsäule, als jemand mit voller Wucht gegen ihn prallte, ihn um die Taille packte und schnell nach vorn stieß. Panisch stieß er alle Luft aus. Er stemmte die Beine in den Boden. Ließ die Waffe fallen und schlug mit den Händen um sich.
    Er wurde geschubst, mitgerissen. Der Angreifer hatte den Vorteil des anfänglichen Schwungs und der Überraschung. Noch bevor er überhaupt reagieren konnte, spürte er, wie er rasend schnell zum Rand des Daches gestoßen wurde.
    Zum Abgrund!
    „NEEEEIIIIIIIIIIN!“
    Er hörte sich schreien, sah den Rand viel zu schnell näher kommen, die gesamte Landschaft auf sich zustürzen, trotz der Sohlen, mit denen er verzweifelt im Kies Halt suchte.
    Zehn Stockwerke.
    Erstaunlich detailgenau übersah er jetzt den ganzen Häuserblock, aber was er sah, wurde zugleich durch die Angst, den Regen und das Schwindelgefühl immer verschwommener … Er schrie. Er sah den gesamten Platz in der Dunkelheit, die Flucht der Balkone zu seinen Füßen, die vertikalen, zusammenlaufenden Regenschnüre, seine Schuhspitzen, die an die Betoneinfassung stießen. Sein Körper kippte vornüber, der tödliche Sturz …
    Einen Moment lang schwankte er so am Rand des Abgrunds, gehalten nur von einer Hand in seinem Rücken.
    Dann bekam er einen starken Schlag auf den Kopf, sah Sternchen und stürzte in ein schwarzes Loch.
     
    Irène Zieglers und Zuzka Smatanovas Maschine aus Santorin landete an diesem Abend um 20:30 Uhr auf dem Flughafen Toulouse-Blagnac. Der Flug hatte weniger als zwei Stunden gedauert, und sie sahen noch die Vulkaninsel mit ihrer schwindelerregenden Felswand vor sich, die hundertzwanzig Meter fast senkrecht in das glitzernde Meer abfiel, und die weißen Häusern, die wie Vogelkot den Gipfel des ehemaligen Vulkans besprenkelten. Genauso präsent aber war auch der Eindruck von gestern Abend, als sie auf ihrem letzten Strandspaziergang von ein paar betrunkenen Engländern angepöbelt worden waren. „Hey, girls, this is not Lesbos island!“ – so hatte es angefangen. Nur dank ihrer Kampfgriffe aus der Polizeischule hatten sie sich einigermaßen unversehrt befreien können. Aber solche Idioten gab es leider überall, und auf keinen Fall würden sie sich von ihnen die Urlaubserinnerngen verderben lassen!
    Im Flughafengebäude holten sie ihr Gepäck und gingen in die Halle D. Von dort würde sie ein Pendelbus zu dem „preiswerten“ Parkplatz bringen, wo ihr Auto seit einem Monat auf sie wartete. 108 Euro Parkgebühren. Ziegler hatte während der gesamten Reise im Kopf mitgerechnet. Ihre Freundin hatte fast die gesamten Reisekosten übernommen. Irène hatte nur ihr Flugticket und zwei Restaurantbesuche bezahlt. Der Beruf der Stripteasetänzerin und Nachtklubpächterin war ganz offensichtlich einträglicher als der der Gendarmin.
    Sie zogen ihre Rollkoffer hinter sich her. Hinter den Scheiben sahen sie den Regen und dachten voller Wehmut an die griechische Sonne, als sie an einem Zeitungskiosk vorbeikamen. Irène blieb stehen.
    „Was ist?“, fragte die Slowakin.
    „Warte.“
    Zuzka warf ihr einen fragenden Blick zu. Irène hatte ihren Koffer abgestellt. Sie trat an den Verkaufsständer. Das Foto war unscharf, aber das Gesicht kannte sie. Von der Titelseite einer Zeitung sah sie Martin Servaz an, sein Gesicht war im Blitzlicht ganz bleich. Der Titel verkündete laut: „HIRTMANN SCHREIBT AN DIE POLIZEI.“

20
     
    Wolken
    Fahle graue Wolken. Knollenförmig. Wie Hochhäuser in den Himmel aufragend. Den Blick auf sie gerichtet, spürte er, wie ein Tropfen auf seine Hornhaut traf. Hart wie eine Murmel. Dann ein zweiter und ein dritter. Er blinzelte. Der Regen peitschte sein

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