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Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Titel: Kindertotenlied: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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tun können, erschien ihm in geradezu abenteuerlicher Weise an den Haaren herbeigezogen.
    Er stellte sich mit beiden Füßen auf die Klobrille und zog sich zu dem kleinen Fenster hoch. Die gleichen Eisenstäbe wie in seinem Kabuff. Dahinter stürzte der Regen herunter. Auf dieser Seite nichts Ungewöhnliches. Er stieg von der Klobrille herunter, aber da war wieder ein Geräusch, außerhalb der Toiletten, aber innerhalb der Bank. Diesmal stürzte das Blut durch seine Adern wie das Wasser eines Staudamms durch eine Turbine. Plötzlich war die Angst da. Mit pochendem Herzen und weichen Knien drehte er sich zur Tür um. Da war jemand … Irgendwo in der Bank. Er wollte die Waffe fester umklammern, aber seine feuchte Hand glitt am Griff ab.
    Verstärkung anfordern. Aber wenn er sich täuschte? Er sah die Schlagzeile schon vor sich: „ Polizist fühlt sich in menschenleerer Bank verfolgt!“ Er könnte auch den Direktor anrufen und vorgeben, er könne die Aufzeichnungen nicht lesen. Und dann? Sollte er sich so lange hier einschließen, bis jemand aufkreuzte? Diese Gedanken gingen ihm gerade durch den Kopf, als er hörte, wie klackend die Notausgangstür ins Schloss fiel.
    Verdammt!
    Er stürzte aus der Toilette, lief an den Schaltern vorbei, schlitterte um die Kurve und hastete ans Ende des Gangs. Er lief durch die Metalltür. Eine Treppe. Schritte über ihm, jemand, der über die Stufen hetzte. Mist! Servaz rannte hinterher. Zwei Treppenläufe aus Beton und eine Tür pro Stockwerk. Die Stufen bebten unter seinen Schritten. Er horchte, um herauszufinden, ob der Flüchtende das Treppenhaus verließ, aber die Geräusche verrieten ihm, dass er die Treppe weiter hinaufstieg. Nach drei Stockwerken war er außer Atem, seine Lungen brannten. Er klammerte sich an den eisernen Treppenlauf. Im siebten Stock blieb er stehen, um in gebückter Haltung, die Hände auf den Knien, Luft zu holen. Seine Lungen pfiffen wie ein Blasebalg. Schweiß troff von seiner Nase, und der Rücken seines Hemdes war durchnässt. Die Person, hinter der er her war, stieg weiter die Treppe hinauf: Er spürte die Stufen unter seinen Sohlen vibrieren. Er stieg weiter. Gerade erreichte er den siebten Stock, als eine Stahltür über ihm zuerst quietschte und dann laut zuknallte. Er öffnete die Tür zum siebten Stock. Sie quietschte nicht und fiel auch nicht von selbst wieder ins Schloss. Der Fliehende hatte also keine Etagentür genommen … Sein Herz hämmerte so kräftig in seiner Brust, als würde es jeden Moment platzen.
    Er ließ den neunten Stock hinter sich.
    Seine Muskeln hart wie Beton, als er die letzten beiden Treppenläufe hinaufeilte. Das Dach … Das metallische Geräusch kam von dort. Dahin also hatte sich die Person, der er auf den Fersen war, geflüchtet. Die Angst kehrte in Windeseile zurück. Servaz erinnerte sich an die Ermittlungen in den Pyrenäen. An Schwindelgefühle. An seine Angst vor der Tiefe. Er zögerte.
    Er war schweißgebadet. Er nahm seine Waffe in die andere Hand, wischte nacheinander die Hände an seiner Hose ab und trocknete sich an einem Ärmelaufschlag das Gesicht. Er wartete, bis sich sein Herz etwas beruhigt hatte, und starrte auf die geschlossene Stahltür.
    Was erwartete ihn dahinter? War es eine Falle?
    Er wusste, dass er mit seiner Höhenangst im Nachteil wäre. Aber er hatte eine Waffe …
    War der, den er verfolgte, bewaffnet?
    Er war sich unschlüssig, wie er weiter vorgehen sollte. Gleichzeitig war er ungeduldig und wollte die Sache schnellstens aufklären. Er legte eine zitternde Hand auf die Stahlstange. Die Tür quietschte, als er sie aufstieß. Sogleich schlugen ihm das Gewitter, die Blitze, der Wind und der Regen entgegen. Der Wind blies hier oben, wo man ihm ungeschützt ausgeliefert war, viel stärker. Seine Sohlen knirschten auf dem Kies, mit dem das Flachdach bedeckt war. Es war nur eine ausgedehnte Fläche mit einer kaum zwanzig Zentimeter hohen Betoneinfassung. Sein Magen krampfte sich zusammen. Dahinter erblickte er die Dächer von Marsac, die Kirchturmspitze verschwand in den Wolken, die Hügel schienen unter Wasser zu stehen, und der riesige wolkenbedeckte Himmel glich einem Meer. Er wartete, bis sich die Tür hinter ihm schloss. Wo war er hier? Der Wind zerzauste sein Haar. Er sah nach rechts und links. Eine Reihe etwa ein Meter hoher Mauerstücke, durchbrochen von Lüftungsöffnungen, ragten über das Flachdach auf. Außerdem waren da noch dicke Rohre, die dicht über den Boden verliefen, und drei

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