Kindheitsmuster
sind.
Dir fiel ein, daß Lenka das Wort »gläubig« nie auf sich beziehen mußte. Dir fielen die grundverschiedenen Glaubensbekenntnisse ein, die du, in Abständen von wenigen Jahren, abgelegt hast. Du überlegtest, daß die Zumutungen, denen deine Generation ausgesetzt war, vielleicht einmalig sind – ein Gedanke, der dich etwas entlastete.
Zum Beispiel – sagtest du, und stocktest gleich, weil ein Glaubensbekenntnis nicht mit »zum Beispiel« anfangen sollte –, zum Beispiel glaube ich, daß es einen Sinn hat, mitzuteilen, was man für wahr hält.
Daran hatte Lenka nie gezweifelt. Sie konnte mit der Antwort nichts anfangen. H. dagegen, der seit einiger Zeit geneigt war, gerade die Fragen zu attackieren, die du für deine echtesten hieltest – H. sagte: Entschuldige schon, aber ohne die Mitteilung ist ja die Art von Wahrheit, die du meinst, gar nicht vorhanden. Also was soll’s.
Du meinst, ich stilisiere platte Feigheit zu Zweifeln hoch.
Möglich, sagte er. – Die Schonung, die er während der Fahrt geübt hatte, war vorbei.
Wahrheit! sagte Lutz. Meine Güte, du greifst hoch.
Ich sagte, »für wahr hält«, erwidertest du gereizt. Du hältst mich doch nicht für so albern, daß ich fordere, man solle »die Wahrheit sagen«, wie die Kinder. Was wir meinen, ist: Wahrheit als Bezugssystem zwischen Leuten.
Was ist jetzt auf einmal los, sagte Lenka. Könnte mir vielleicht einer sagen, wovon ihr redet?
Wir reden davon, sagtest du, immer noch in pikiertem Ton, daß es noch andere Wahrheiten gibt als: Zwei mal zwei ist vier. Und ich frage mich, warum man diese Wahrheiten so spät erkennt und warum es so schwierig ist, über sie zu sprechen.
Ach so, sagte Lenka. Danach habe ich aber nicht gefragt. Ich wollte ja bloß wissen: Glaubt ihr, daß ein Mensch sich von Grund auf ändern kann?
Heiliger Bimbam, sagte Lutz.
Ihr fuhrt nach Kostrzyn hinein, um ein Lokal zu suchen. Die Stadt ist ja vollkommen zerstört gewesen. Sie wurde wieder aufgebaut. Ihr gerietet in ein ödes Neubauviertel: ein paar Zeilen Betonhäuser in einer trostlosen Landschaft. In dem einzigen Lokal, das heiß und voll war, gab es um zwölf Uhr noch nichts zu essen. Ihr trankt einen Saft und machtet euch davon. Lenka bekam keine Antwort auf ihre Frage, sie bestand auch nicht darauf. Einer der Fälle, da du wegen Befangenheit das Thema, das sie anschlug, nicht verstandest. Die Gedankenreihe, die dir durch den Kopf ging, hätte ihr nichts genutzt: Sich von Grund auf ändern. Ein »neuer Mensch« werden. Filme, in denen ihr den »neuen Menschen« beklommen agieren saht. Dies sollte er sein? Der neue Mensch als eine Vision, der nachzustreben so hoffnungslos wie unerläßlich ist. Die neue Schichtvon Ängsten, die sich über die alte legt: Wieder scheint es vorherbestimmt, daß ihr versagen müßt. Die Älteren, die die Achseln zucken: Wie empfindlich, wie schwächlich diese junge Generation ist ...
Lenka blieb allein mit den Zweifeln an ihrer Person.
Die Rolle der Zeit bei der Auflösung von Angst.
K. L., dein Moskauer Freund, bestand darauf, daß du ihm das Alarmsystem genau beschriebst, das bei Frahms installiert wurde. Er ließ es dich aufzeichnen. Ihr saht: Seine Erfindung setzte Konzentration und Erfolgszwang voraus, sein Funktionieren erforderte reibungsloses Zusammenspiel von Mensch und Technik. Zuerst wurde durch eine dicke, vom Dorftischler angefertigte Falltür, die gegen Äxte und Brecheisen unempfindlich sein mußte, das obere Stockwerk des Frahmschen Hauses gegen das untere hermetisch verschließbar gemacht. Danach wurde ein Wachplan aufgestellt, der die Männer abwechselnd zu nächtlichem Außendienst, die Frauen zum Telefondienst einteilte. Die dritte Einrichtung – eine originale Erfindung von Bruder Lutz, für die alle Hausbewohner ihn nicht genug loben konnten – beugte dem Ausfall der Telefonverbindung vor und bestand aus drei leeren Sauerstoffflaschen, die in der uralten, mächtigen Kastanie auf Frahms Hof aufgehängt und durch Seile, an denen Eisenklöppel befestigt waren, mit einem Bodenfenster in Frahms Haus verbunden waren: Sie gaben, wenn man die Seile rhythmisch zog, einen gewaltigen Lärm.
K. L., der genau nachfragte, eine Lücke im System herausfinden wollte, gab es dann auf, schrie anerkennend: Molodetz! Danach habt ihr unbändig lachen müssen und euch lange nicht beruhigen können. KünftigeÜberfälle, erzähltest du ihm, liefen nun nach folgendem Schema ab: Der Mann auf Außenwache hört zum Beispiel nachts
Weitere Kostenlose Bücher