Kindsköpfe: Roman (German Edition)
sie ihn gebeten hatte, es nicht zu tun.
»Hier kann man wenigstens das Fenster richtig öffnen und den Krankenhausmief rauslassen.«
Niklas wagte einen kurzen Blick auf den Parkplatz, der direkt unter ihm lag. Da er nicht schwindelfrei war, erwies es sich als kein großes Vergnügen, fünf Stockwerke hinabzuschauen, vor allem, da er noch nicht gefrühstückt hatte.
»Die Kinder fehlen mir. Wie geht’s ihnen?« Inkens Kopf lag auf einem Handtuch, weil sie in der Nacht stark geschwitzt hatte. Ihre dunklen Haare pappten glanzlos aneinander. Auf dem Nachttisch stand unberührt der Obstkorb ihrer Mutter. Jesus blickte von seinem Kreuz auf sie herab.
»Bestens.« Niklas ging zurück zu Inkens Bett. »Während wir uns hier einen Lenz machen, bringt Oliver Lotte zur Schule und Hannes in den Kindergarten.«
»Von mir aus hätten sie da heute nicht hingemusst«, sagte Inken matt.
Niklas strich ihr die Haare zurück. »Mach dir um die zwei keine Sorgen.«
Seine Schwester zog eine Grimasse und lüftete die Bettdecke. »Im Moment mache ich mir vor allem Sorgen um diese zwei. Was ist, wenn sie bei der Operation noch mehr von dem Krebs finden?«
»Jetzt entspann dich!« Niklas rieb ihre Finger. Die Hand war eiskalt. »Der Arzt hat gesagt, du bist genau im richtigen Moment gekommen.«
Aber Inken ließ sich nicht so einfach beruhigen. »Und wer nimmt mich dann noch in meinem Alter?«
»Du bist süße neunundzwanzig, Inken!«
»Nicht mehr lange. Mit den Kindern bin ich sowieso schon schwer vermittelbar. Ich will nicht als Ladenhüter ohne Möpse enden.«
»Wie kann man nur so fixiert auf diese Dinger sein?«, versuchte Niklas zu witzeln, aber das brachte Inken nur noch mehr auf.
»Du kannst es dir vielleicht nicht vorstellen, Niklas, aber es gibt Kerle, die stehen da drauf.«
»Du behältst sie ja auch. Die Ärzte schneiden nur ein bisschen von dem weg, was da nicht hingehört.« Er drückte ihre Hand.
»Ich habe Angst«, flüsterte sie.
»Das verstehe ich gut.«
»Du verstehst gar nichts!« Sie entriss ihm ihre Hand und zog sich die Bettdecke bis zum Hals. »Du hast einen tollen Freund. Ihr habt eure Freiheit, könnt Tequila trinken, wann und wo ihr wollt. Müsst niemanden vorher um Erlaubnis bitten. Verdammt, wenn ich hier lebend rauskomme, gehe ich nach Hamburg zurück!«
Bevor Niklas protestieren konnte, war ein energisches Klopfen zu hören, und ein professionell gutgelaunter junger Mann in Weiß trat ein.
»Dann wollen wir mal«, flötete er und löste mit zwei geschickten Tritten die Bremsen an Inkens Bett.
»Möglich, dass Sie wollen. Ich nicht.«
Inken warf ihrem Bruder einen flehenden Blick zu. Der drückte zum Abschied ihre Hand.
»Du machst das schon!«
Dann fiel die Tür zu, und Niklas war allein. Er nahm das Kreuz von der Wand und ließ es in Inkens Nachtschrank verschwinden.
Niklas blieb noch auf der Station, bis seine Mutter kam. Sie sollte bis zum Nachmittag bei Inken bleiben, dann würde Mattis sie ablösen, und am Abend wollte Niklas wieder nach ihr sehen. Nach seinem Plan war immer jemand anwesend, falls seine Schwester aufwachte. Es war ein guter Plan, doch er scheiterte. Er scheiterte daran, dass im entscheidenden Moment der Schwächste von allen in der Verantwortung war.
Als er nach der Arbeit im Krankenhaus ankam, schlief Inken unruhig. Sie atmete schwer und faselte im Schlaf. Mattis berichtete, dass sie am Nachmittag aufgewacht war, über Schmerzen geklagt hatte und sich übergeben musste. Die Schwester hatte ihr eine Spritze verabreicht, doch die wollte nicht gleich wirken. Also hätten sie was zusammen geraucht, und Inken sei endlich wieder eingeschlafen.
Der Zustand seiner Schwester und die Art, wie sein alter Freund auf dem Stuhl herumzappelte, machten Niklas nervös. Nun bestand Mattis auch noch darauf, einen Witz zu erzählen, den er am Vormittag von einem Fahrgast gehört hatte.
Niklas war nicht in Stimmung für Witze, aber Mattis drängelte so lange, bis er sich ergab.
»Warum heißt die große Kirche in Köln Dom? Na? Weil die Kölner ›Kathedrale‹ nicht schreiben können.«
Er kicherte wie ein Schuljunge, und Niklas schenkte ihm ein müdes Augenrollen, worüber sich Mattis noch mehr amüsierte.
»Okay, Mann, aber der hier ist richtig gut: Der Scheidungsrichter will vom kleinen Max wissen, ob er bei seiner Mutter leben möchte. Sagt Mäxchen: ›Nein, die schlägt mich immer.‹ Darauf fragt der Richter: ›Dann willst du wohl zu deinem Vater?‹ ›Nein, der
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